118 Innere Politik. I. Buch.
ihrer Kultur überzeugt und beseelt von dem einer unbewußten Naturkraft gleichenden
Drange, der eigenen Kultur weite und weitere Geltung zu erobern. Aicht allen
Völkern ist diese Kraft bewußt. Sie war es jenen großen römischen Heerführern und
Staatsmännern, die in Griechenland, Kleinasien, Nordafrika, vor allem in Gallien und
Germanien erobernd vorgingen und auf die Eroberung mit den Waffen alsbald die
Eroberung mit der überlegenen römischen Kultur folgen ließen. Ein solches unbeirr-
bares nationales Kulturbewußtsein lebt heut im englischen Volk. Der Engländer ist
tief durchdrungen von der Uberlegenheit der angelsächsischen Kultur. Er mißbilligt es
wohl zuweilen, wenn andere Nationen mehr oder minder energisch mit der Propaganda
ihrer Kultur vorgehen, aber er wirft selten die Frage auf, ob England selbst zu solchem
Vorgehen etwa nicht berechtigt sei. Er ist überzeugt, daß englische Herrschaft und die
ihr folgende Anglisierung eine Wohltat ist, und er entnimmt das Recht zu Ausdehnung
und Eroberung seinem Bewußtsein von der Uberlegenheit der angelsächsischen Kultur
und angelsächsischer Institutionen. Die grandiose Schöpfung des britischen Imperiums,
des größten Reiches, das die Welt seit dem Römerreich gesehen hat, für die niemals
ein Opfer an Blut und Gut gespart worden ist, wurde und wird getragen von dem
unerschütterlichen Bewußtsein und Willen des englischen Volkes überall da, wohin die
englische Macht reicht, Träger einer höheren Kultur zu sein. Der englische Glaube an
die Uberlegenheit des eigenen geistigen, sittlichen, religiösen, rechtlichen und wirtschaftlichen
Lebens ist die Lebenskraft der englischen nationalen Politik.
Höhere Kultur hat zu allen Zeiten einen politischen Rechtstitel verliehen. Der
Glauben an eine wirkliche oder vermeintliche höhere Kultur hat stets einen Rechtsan-
spruch hervorgerufen. Als das Frankreich der großen Revolution mit seinen Heeren
Europa überschwemmte, schuf es sich ein Eroberungsrecht auf Grund der vermeint-
lichen Segnungen republikanischer Freiheiten. Es fühlte sich als Träger einer über-
legenen politischen Kultur gegenüber anderen Völkern, vor allem Deutschen und
Italienern. Es gab besonders in unserem Vaterlande nicht wenige, die diesen Rechts-
titel anerkannten und von ihrem Frrtum erst durch die bitteren Erfahrungen der napoleo-
nischen Zwingherrschaft geheilt wurden. Die Kulturmission der französischen Revolution
beruhte auf einer grundsätzlichen Verkennung des Wesens der Kultur, innerhalb deren
neben Religion, Sitte, Recht und Bildung politische Institutionen nur nebengeordneten
Wert haben, und sie verurteilte sich selbst durch die wachsende Brutalität der napo-
leonischen Herrschaft. Aber es gibt berechtigte Kulturmissionen. Solche haben die
christlichen Kolonialmächte der Gegenwart in Afrika zu erfüllen. So ist Rußland
nach Asien hin berechtigter Träger höherer Kultur. Und wenn der Kampf der höheren
mit der niederen Kultur einmal aufhören sollte in der Weltgeschichte, so hätte unser
Glaube an die Fortentwicklung der Menschheit an Boden verloren. Wir wären um eine
große ideale Hoffnung ärmer.
Eine Kulturmission ist es gewesen, die uns Deutsche
einst über die Elbe und die Oder nach dem Osten geführt
hat. Das Kolonisationswerk im deutschen Osten, das,
Das Kolonisationswerk
im deutschen Osten.
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