I. Buch. IV. Ostmarkenpolitik. 129
1886 bis 1911 394 398 ha Land für die Ansiedelung deutscher Bauern vom Staat
erworben worden, darunter 112 116 ha aus polnischem Besitz. 150 000 deutsche Seelen
werden auf den Ansiedelungsgütern gezählt. 450 Dörfer sind neu gegründet, und in
300 Dörfern ist die Zahl der Deutschen vermehrt worden. Die dank der Ansiedlungs-
politik in unserer Ostmark erzielten Erfolge hat einer der verehrungswürdigsten
Staatsmänner unserer Zeit, Graf Botho Eulenburg, 1908 in der Herrenhausdebatte
über das Enteignungsgesetz in überzeugender Weise dargelegt. Der Rückgang der
Deutschen zugunsten der Polen hat trotz des größeren polnischen Kinderreichtums auf-
gehört, wie die letzten Volkszählungen beweisen. Das sind Ergebnisse von greifbarem
Wert, das sind erste sichere Schritte zu dem noch fernen Ziel, das erreicht werden
kann, wenn wir dieses opfervollen und gewiß unbequemen Kampfes nicht müde
werden, und wenn vorübergehende Phasen aktueller Politik nicht aufs neue die großen
und permanenten Forderungen nationaler Politik in das Hintertreffen rücken. Wir
dürfen uns auch keiner Täuschung darüber bingeben, daß der Deutsche im Nationalitäten-
kampf noch nicht überall die wünschenswerte Widerstandskraft besitzt, daß er in diesem
Kampfe noch zu oft unserem Volkstum verloren zu gehen Gefahr läuft, wenn ihm nicht
der Staat stützend und schützend zur Seite steht. Eine der größten Schwierigkeiten der
Ostmarkenfrage und zugleich der vielleicht stärkste Beweis für die Unerläßlichkeit einer
stetigen und festen Ostmarkenpolitik liegt in der Notwendigkeit, dem nun einmal aus
GEründen, die mit unseren guten und mit unseren weniger guten Eigenschaften zu-
sammenhängen, so leicht assimilierbaren Deutschen den Rücken zu stärken. Die Regierung
muß in dieser Beziehung die Dinge nehmen wie sie liegen. Sie hat die Pflicht, dafür
zu sorgen, daß der Deutsche und das Deutschtum im Osten nicht unter die Räder kommen.
Wie es aber im deutschen Osten aussähe, wenn nichts geschehen wäre zum Schutze und
zur Stärkung des Deutschtums, das ist eine Frage, deren Beantwortung ein noch besseres
rteil des Geschehenen enthält als eine Registrierung des positiv Erreichten. Ehe wir
daran denken dürfen, im Osten nationale Eroberungen zu machen, mußte unser natio-
naler Besitz vor dem Verlust bewahrt werden. Und das ist gelungen, weil wir um ihn
gekämpft haben. Die Entwicklung, der Bismarck in den Arm fiel, ging bin zu einer all-
mählichen aber sicheren Polonisierung der Ostlande. Eine drohende Gefahr verhindert
zu haben, ist nicht selten in der Politik ein besserer Erfolg als die Erringung eines momen-
tanen Vorteils. Wäre der zunehmenden Polonisierung nicht eine bewußte, vom Staat
getragene Germanisierung entgegengesetzt worden, so würde es in Posen und West-
preußen heute aussehen wie in Galizien. Es ist verständlich, wenn die österreichische
Monarchie, die nicht ein auf der Grundlage einer Nationalität errichtetes Staatswesen
ist, aus Gründen innerer und äußerer Politik seit den siebziger Zahren des vorigen
Zahrhunderts im Kronlande Galizien auf jede weitere Germanisierung verzichtet hat
und den polnischen Wünschen auf das weiteste entgegengekommen ist. Preußen ist der
Träger des deutschen Reiches und des nationalen Gedankens, ist der deutsche National--
staat # #ox##### und kann solche Zugeständnisse nicht machen, ohne seiner Vergangenheit,
seinen Traditionen und seiner deutschen Mission untreu zu werden. Preußen muß nach
deutschnationalen Gesichtspunkten regiert und verwaltet werden. Hätten wir im Osten
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