134 Schlußwort. I. Buch.
bildende Kraft der preußischen Monarchie für das neue Reich gewonnen werden, so durfte
der König von Preußen als deutscher Kaiser nicht etwa Inhaber schattenhafter Würden
sein, er mußte regieren und führen und zu diesem Zweck tatsächliche monarchische
Rechte besitzen so, wie sie dann in der Reichsverfassung niedergelegt und umschrieben
sind. Luf den Wegen der Demokratie, auf denen andere Völker zum Ziel nationaler
Entwicklung gelangt sind, wäre Deutschland gar nicht oder nur sehr langsam und
unvollkommen zu staatlicher Einigung gekommen. Als Monarchie, mit der Vertretung
der verbündeten Fürsten im Bundesrat und dem König von Preußen an der Spitze sind
wir ein einiges deutsches Reich geworden. Unter die alleinige Obhut streitender Parteien
im Parlament gegeben, hätte der Reichsgedanke niemals so an Boden, niemals so die
deutschen Herzen gewinnen können, wie es geschehen ist, da die Reichseinheit unter den
Schutz der Monarchie gestellt ward. Was Anfang der sechziger Zahre des 19. Jahrhunderts
der spätere Ministerpräsident des Deutschland schicksalsverwandten Ztaliens Crispi an
Mazzini schrieb, er habe sich von der Republik zur Monarchie bekehrt, weil die
Monarchie Italien einige, die Republik es spalte: das gilt auch für uns. Und das
gilt besonders deshalb, weil das Deutsche Reich, in der Mitte Europas gelegen, an
seinen weiten Grenzen von Natur ungenügend beschützt, ein Militärstaat sein und
bleiben muß. Starke Militärstaaten haben aber in der Geschichte immer einer monar-
chischen Führung bedurft.
Eine starke Monarchie an der Spitze schließt eine rege Anteilnahme des Volkes an den
Dingen des staatlichen Lebens im Reich und in den Einzelstaaten natürlich nicht aus.
Im Gegenteil, je lebhafter und verständnisvoller das Interesse des Volkes in allen seinen
Teilen ist an der Entwicklung der politischen Angelegenheiten, desto inniger wird die Nation
mit der Monarchie, die führend an der Spitze des nationalen Lebens steht, verwachsen.
Das Staatsleben der modernen Monarchie ist eine Arbeitsgemeinschaft von Krone und
Volk, wie sie bei uns durch die Verfassungen geschaffen ist. Es ist ein alter Irrtum, den
Grad der Anteilnahme des Volkes an den Staatsgeschäften allein messen zu wollen an
der Summe der Rechte, die der Volksvertretung gegeben ist. Es kann ein Parlament
sehr weitgehende Rechte besitzen, ohne daß das Volk besonders lebhaftes Interesse an der
Politik nimmt. So war in Frankreich früher zuweilen das Parlament allmächtig, aber
das Volk gleichgültig. Dem relativ großen Maß von verfassungsmäßigen Rechten, das
in Deutschland dem Reichstag und den Landtagen gegeben ist, könnte eine weit regere
politische Teilnahme, ein viel eindringenderes politisches Verständnis des Volkes zur Seite
stehen, als es bisher der Fall ist. Die sogenannte „Politisierung des Volkes“ ist eine Frage
politischer Erziehung, nicht eine Frage parlamentarischer Macht. Die hier und da laut ge-
wordene Behauptung, es wäre mein Gedanke gewesen, die Verteilung der Rechte zwi-
schen Krone und Parlament zugunsten des Parlaments zu verschieben, das heißt ein
parlamentarisches Regime im westeuropäischen Sinne herbeizuführen, gehört in das
dichtbevölkerte Reich politischer Fabeln. Die Rechtsgrenze zwischen Krone und Parlament
hat mir unverrückbar festgestanden. In der äußeren wie in der inneren Politik habe ich
es als meine vornehmste Aufgabe angesehen, die Krone nach bestem Wissen und Gewissen
zu stärken, zu unterstützen und zu schützen, nicht nur aus innerstem Royalismus und per-
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