Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Die Selbstverwaltung. 67 
  
Entwurf eines Wohnungsgesetzes erinnert. — Allen solchen Erscheinungen gegenüber wird 
die Selbstverwaltung immer wieder den Wunsch nach mehr Vertrauen, nach einer vorur- 
teilsfreieren Ausgestaltung ihrer Zuständigkeiten erheben müssen, nachdem sie der Staat 
doch einmal seit einem Zahrhundert als eine geeignete Staatsverwaltungsform aner- 
kannt hat. Sie wird dies um so mehr dürfen, da ja einerseits der Staat selbst nicht in 
Abrede stellt, daß die ihr überwiesenen Arbeitsgebiete von ihr auch mit Liebe und Er- 
folg gepflegt und gefördert worden sind, und da andererseits ihre finanziellen Aufwen- 
dungen für das gesamte öffentliche Leben immer bedeutsamere geworden sind. 
Uber dieses wichtige Sondergebiet ihrer Tätig- 
keit zum Schluß noch einige Worte, wobei, 
zumal im Hinblick auf im vorstehenden erörterte Mängel und Wünsche, zunächst dank- 
bar anerkannt werden soll, daß die Entwickelung der Finanzen der Selbstverwaltung in 
den letzten Zahrzehnten durch eine klare und im wesentlichen bewährte Trennung ihrer 
und der staatlichen Finanzen wesentlich gefördert worden ist. 
Zusammenfassend wird unbedenklich gesagt werden dürfen, daß sie noch in keinem 
früheren Zeitabschnitt eine so gewaltige gewesen ist, wie in den letzten 25 Zahren. Das 
trifft sowohl auf die Entwickelung der eigenen Einnahmen aus Gemeindevermögen und 
etrieben aller Art, auf die erhobenen Steuern, wie auf die — aufgenommenen Schul- 
den zu. — Die wachsende Vervielfältigung der Verwaltungsaufgaben spiegelt sich zu- 
nächst in der außerordentlichen Steigerung der laufenden Zahresausgaben wieder. Sie 
belaufen sich heute überall auf ein Vielfaches derjenigen vor 25 Jahren, und es wird 
nicht zuviel gesagt sein, daß die Haushaltsziffern der Städte heute im allgemeinen die 
vier- bis fünffache, in Einzelfällen — insbesondere in mancher der besonders schnell 
entwickelten Industriestädte im Westen — aber auch die zehn- und noch mehrfache Höhe 
derjenigen vor 25 JZahren erreicht haben. Es spiegelt sich darin sehr wirkungsvoll die 
außerordentliche Zunahme der in ihnen lebendigen wirtschaftlichen Kraft, wie der Fort- 
schritte unseres gesamten Volkswohlstandes wieder. Denn die Oeckung der so gewaltig 
gewachsenen jährlichen Aufwendungen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht auch die 
Einnahmen fortgesetzt entsprechend gestiegen wären. Zur Herbeiführung des Eleich- 
gewichts in ihrem Haushalte mußten sich die Städte einerseits die möglichste Steigerung 
ihres Vermögens und seiner Nutzbarmachung angelegen sein lassen, was vor allem durch 
die unmittelbare oder mittelbare Sicherung der wirtschaftlichen Vorteile zahlreicher, 
insbesondere der monopolartigen, gewerblichen Betriebe für die Allgemeinheit und durch 
eine gleichmäßige Vermehrung ihres Besitzes an Grund und Boden erzielt wurde. So- 
dann wurden sie durch einen wesentlichen Fortschritt der Gesetzgebung in die Lage ge- 
setzt, in vermehrtem Umfange das durch die Tätigkeit der Gesamtheit geförderte Einzel- 
interess# mittels besonderer, dem unmittelbaren Vorteil entsprechender Abgaben — Ge- 
bühren und Beiträge — zur Tragung der Lasten der Allgemeinheit mit heranzuziehen. 
OiesR haben auf den verschiedensten Gebieten der Verwaltung — Be- und Entwässerung, 
Müllabfuhr, Straßenreinigung, Straßen- und Platz-Anlagen oder -Veränderungen und 
dergleichen mehr — allmählich eine immer größere Bedeutung erlangt und dürfen auch 
Finanzen der Selbstverwaltung. 
  
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