Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
IIl. Buch. Oer Strafprozeß. 5 
  
maßen vorhanden, so ist es etwas Halbes, wenn der Bundesrat die Schöffen nur in 
1. Instanz und nicht auch in der Berufungeinstanz zuziehen will. Soll die Mitwirkung 
von Laien doktrinäre — am Buchstaben des Gesetzes llebende — Strafurteile verhüten 
oder jedenfalls die Befürchtung des Volkes, daß ein nur mit gelehrten Richtern besetztes 
Gericht zu solchen Urteilen geneigt sei, heben, so muß sie, wie für die 1., auch für die 
2. Instanz gelten. Die Aufhebung eines von einem Schöffengericht oder einer Schöffen- 
strafkammer erlassenen Urteils durch ein nur aus gelehrten Richtern bestehendes Be- 
rufungsgericht könnte im Volke gar zu leicht der Auffassung neue Nahrung geben, daß 
in der Beurteilung von Strafsachen eine Kluft zwischen den Anschauungen der gelehrten 
Kichter und der mitten im Leben und Verkehr stehenden Laien bestehe und auf diese 
Weise das, was man durch die Zuziehung von Laien zu den Strafgerichten verhüten 
will, erst recht fördern. Die früher geltend gemachte Befürchtung, daß es in manchen 
Bezirken mit undichter Bevölkerung, vor allem in den östlichen Landesteilen Preußens, 
an einer für zwei IZnstanzen ausreichenden Zahl von Personen, die als Schöffen berufen 
werden könnten, fehle, dürfte dadurch, daß nunmehr den Schöffen Reisekosten und Tage- 
gelder bewilligt sind, gehoben sein. Die Vertreter der Bundesregierungen haben denn 
auch im Reichstag ihre übrigens von der baprischen Regierung nicht geteilten Bedenken 
gegen die Zulassung von Laien in den Berufungsgerichten jetzt weniger hierauf, als 
auf die besondere Art der richterlichen Tätigkeit in der Berufungeinstanz gestützt. Ich 
vermag diesen Unterschied nach der Art, wie der Entwurf das Verfahren in der Be- 
rufungeinstanz geregelt, insbesondere eine völlige nochmalige mündliche Verhandlung 
vor dem Berufungsgerichte vorgesehen hat, nicht in dem behaupteten Maße anzuerkennen. 
Allerdings werden die Entscheidungsgründe der 1. Instanz durch Verlesen zur Kenntnis 
des Berufungsegerichts gebracht. Aber es handelt sich dann für das Berufungsgericht 
nicht sowohl um eine Nachprüfung, ob die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des 
Falles durch den Vorderrichter richtig ist, als um die Gewinnung eines selbständigen 
Urteils auf Grund der vor dem Berufungegericht stattfindenden vollständigen neuen 
Verhandlung. IOch vermag nicht abzusehen, wie das den Schöffen bei der Verhandlung 
in 2. Instanz mehr Schwierigkeiten machen soll, als in der 1., und bin der Meinung, 
daß das Sichsträuben der Moajorität des Bundesrats gegen die Zulassung von Schöffen 
bei den Berufungegerichten auf einem, wenn auch unbewußten, Rest der Befürchtung 
mancher Richter beruht, daß es den Schöffen an der vollen Objektivität zu einer dem 
Tatbestand gerecht werdenden Rechtsprechung fehle, welche Furcht bis zur Aufstellung 
des Reformentwurfs auch selbst ihre Zulassung zur Strafkammer in 1. Instanz ver- 
bindert hat. 
Reform der Schwurgerichte. Auffallend ist es, daß der Entwurf, während 
sein Vertrauen zu einer Rechtsprechung, an der 
Laien neben den Richtern teilnehmen, so gering ist, daß er für die Urteile, die 
unter Zuziehung von Schöffen ergehen, eine Nachprüfung durch ausschließlich mit Rich- 
tern besetzte Berufungsgerichte verlangt, für die schwersten Straffälle Schwurgerichte 
bestehen läßt, bei denen der Wahrspruch über die Schuld ausschließlich durch 
  
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