Die staatswissenschaflliche Theorie der Griechen vor
Aristoteles und Platon
und ihr Verhältniss zu dem Leben der Gesellschaft.
Von Dr. L. Stein in Kiel,
Es wäre im Grunde eine merkwürdige Erscheinung, wenn
in einem geistig so lebendigen, und an volkswirthschaftlichen wie
an gesellschaftlichen Thatsachen so reichen Lande wie Griechen+
land überhaupt und namentlich Ailika alle andern Fächer deg
menschlichen Wissens eine wissenschaflliche Untersuchung ge-
funden haben sollten mit einziger Ausnahme desjenigen Gebie-
tes, das doch gerade am innigsten mit der steis neu angeregten
Frage nach der Verfassung und ihren Rechten zusammenhing
und diese sogar zum Theil geradezu umschloss, des Gebiets der
Staatswissenschaften. Allerdings ist im Grossen und Ganzen der
Satz richtig, dass die Hauptrichtung des griechischen Geistes auf
Kunst und Philosophie, die des römischen dagegen auf Recht
und Gerichtsverhandlung ging. Aber kein Volk der Welt hat so
oft und so .durchgreifend die. Ordnung seiner öffentlichen Ver-
hältnisse gewechselt als das griechische überhaupt und dag athe-
niensische. im Besondern; es musste in diesen Bewegungen
fast schrittweise auf. jene Gewalten stossen, die in die Ver-
fassungsbildung so mächtig hineingreifen; seine ‚Gesetze, selbst
betrafen fast immer neben dem blossen Verfassungsrecht zugleich
auch die volkswirthschaftlichen und gesellschaftlichen. Verhältnisse,
wie denn das allerdings in der Natur derselben liegt: wie sollie
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