438 Studien über württembergische Agrarverhältnisse.
mum besessen hat, späler es ganz oder theilweise verkaufen.
Man könnte zur Unterscheidung das erste Minimum ein objecliv,
das zweite ein subjectiv bestimmtes nennen.
Betrachten wir nun die Wirkung dieser beiden Formen eines
Minimum, so irilt uns als erster Einwand gegen dasselbe die
Behauptung entgegen, dass es die unehelichen Geburten befördere.
Gerade diess wird auch dem bayrischen Niederlassungsgesetz vor-
geworfen, und dass dieser Vorwurf begründet ist, lässt sich nach
den statistischen Beweisen, welche Rivet im Archiv für politische
Oekonomie !) gegeben hat, nicht mehr in Zweifel ziehen. Ganz
derselbe Einwand kann aber nicht blos gegen das Minimum, sondern
überhaupt gegen jedes die vollkommene Freiheit beschränkende
Agrargesetz und namentlich auch gegen das System der geschlos-
senen Güter erhoben werden, und ich will desshalb gleich hier ver-
suchen, den Einwand auf seinen wahren Werth zurückzuführen.
Es ist gewiss nicht richtig, wenn man sagt, ein die Freiheit
der Niederlassung beschränkendes Gesetz müsse nothwendig eine
Vermehrung der unehelichen Geburten zur Folge haben. Han-
nover, Holstein, Westfalen, wo das geschlossene Hofgutsystem
in grosser Ausdehnung besteht, beweisen diess; denn hier ist
das Verhältniss der unehelichen zu den ehelichen Geburten kein
ungünstigeres, als sonst in Deutschland durchschnittlich der Fall
ist. Aber das lässt sich nicht läugnen, dass eine Veranlassung
zu illegitimen Verbindungen dadurch gegeben wird, dass der sitt-
liche Geist des Volks es dabei schwerer hat, die Verführungen zur
Unsittlichkeit zu überwinden, als wenn die Freiheit der Nieder-
lassung keine an die einzelnen Personen oder an das Objekt
der produktiven Thätigkeit geknüpfte Schranke findet. Und so
finden wir denn auch sehr häufig ein Zusammentreffen der beiden
Momente, uneheliche Geburten und Beschränkungen der Freiheit
der Niederlassung. In unserm Lande z. B. ist es ganz unver-
kennbar, dass der südliche und nordöstliche Theil desselben mit
seinem geschlossenen Gütersystem bedeutend mehr uneheliche
Geburten hat, als der altwürttembergische Landestheil mit seinem
System der Freiheit; dort betragen dieselben in den einzelnen
Aemtern bis zu 20 Prozent aller Geburten, hier mit wenigen
1) Jahrgang 1843, Rivet, über die ausserehelichen Geburten.