570 Völkerrechtliche Lehre
stehenden Zustände und der sich von selbst daran schliessenden
Vorschläge zur Verbesserung derselben.
Es sei zuerst ein Blick geworfen auf
1.
den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Bearbeitung.
Dass derselbe wenig genügt sowohl im Ganzen als hinsicht-
lich der meisten Einzelnfragen hat sich wohl aus der Aufzählung
der verschiedenen Lehrmeinungen selbst ergeben. Es sind aber
zwei ungefähr gleich wirksame Ursachen dieses unbefriedigenden
Zustandes zu bemerken.
Vorerst die beinahe gänzliche Vernachlässigung der Unter-
suchung über die Ausdehnung der Rechtsaufgabe des Staates.
Es ist einleuchtend, dass man ohne eine feste allgemeine Beant-
worlung dieser Frage in den einzelnen Punkten lediglich im Dunkeln
tappt, und leicht zu Willkührlichkeiten und Folgewidrigkeiten
kommt. An ganzen Reihen von Beispielen liesse es sich nach-
weisen, dass namentlich drei Fehler die Folge eines solchen man-
gelhaften Ausgangspunktes sind. Einmal, die Aufstellung von
angeblich obersten Sätzen, welche im besten Falle nur einen
Theil der Frage beherrschen. Zweitens, die Begnügung mil blossen
Behauptungen, anstatt bewiesener leizter Gründe. Drittens end-
lich, die völlige Uebergehung ganzer wichtiger Seiten des Gegen-
standes ). So lange also hier nicht gründlich geholfen ist, ist
‘1) Nachstehende Beispiele liessen sich beinahe nach Belieben ver-
mehren, — Als Beleg der Annahme eines nur theilweise ausreichenden Satzes
erscheint es, wenn man von dem Axiom ausgeht, der Staat habe ein Recht
zur Strafe, also überhaupt zur Gerichtsbarkeit, nur da, wo er zur Äuflegung
von Pflichten berechtigt sei. Diess möchte etwa von Bedeutung sein für die
strafrechtliche internationale Frage; allein es ist klar, dass damit für die ganze
Vorbeugungsfrage und für einen guten Theil des internationalen Privatrechtes
gar kein Anbaltspunkt gewonnen ist. Der Satz, wenn er überhaupt wahr
ist, kann höchstens in zweiter Linie, als Regel für eine Unterabtheilung
stehen. — Eine Begnügung mit einer blossen Behauptung anstatt der Auf-
findung eines richtigen obersten Grundsatzes ist es aber, wenn man ohne
weiteres setzt, der Staat dürfe die sog. delicta juris gentium wegen ihrer
Abscheulichkeit überall verfolgen, geringere Rechtsvergehen aber nicht; oder