Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

§ 66. 1. Begriff. Polizeigewalt. Grenzen derselben tc. 247 
heits= und Wohlfahrtspolizei zu trennen gesucht, was allerdings bei 
vielen Maßnahmen der Polizei, die aus allen Gesichtspunkten heraus 
getroffen werden, nicht haltbar ist. Gewisse Schranken sind auch hier 
der Polizei gesetzt. Die präventiv erfolgenden polizeilichen Maßnahmen 
dürfen nicht soweit ausgedehnt werden, daß sie an sich erlaubte Handlungen 
verbieten, so hat z. B. OVG. E. Bd. 13 S. 424 die Schließung eines 
kaufmännischen Geschäfts zur Verhinderung des unerlaubten Verkaufs 
oder Ausschanks von Getränken für nicht zulässig erklärt. In diesem 
Falle würde daher die Polizei nur berechtigt gewesen sein, den unerlaubten 
Geschäftsbetrieb bezüglich der verbotenen Getränke zu inhibieren. Auch 
nicht jede zu befürchtende Schädigung des Publikums genügt zum 
polizeilichen Einschreiten. Auch die bloße abstrakte Möglichkeit einer 
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestattet nicht ohne 
weiteres das polizeiliche Einschreiten, sondern es muß eine aus Tat- 
sachen sich ergebende Wahrscheinlichkeit der Gefährdung hinzukommen 
(ogl. OVG. E. Bd. 21 S. 408, v. Kamptz Bd. 4 S. 932). Be- 
sondere Schwierigkeit macht die Begrenzung der polizeilichen Befug- 
nisse aus dem Gebiete der Wohlfahrtspolizei. Man) hat die 
Grundlage der Wohlfahrtspolizei in dem Gesetz vom 11. März 1850 
finden wollen. Durch die Bestimmungen des vorstehenden Gesetzes sei 
dem polizeilichen Verordnungsrecht alles unterworfen, was im öffent- 
lichen Interesse auf dem Gebiete der inneren Verwaltung zum Schutze 
oder zur Förderung des Gemeinwohls zu ordnen und zu regeln wäre. 
Gegen diese Ansicht ist in erster Linie geltend gemacht worden, daß 
sie die Bedeutung der Vorschriften des Ges. vom 11. März 1850 
völlig verkennt. Das Gesetz habe keineswegs bezweckt, neue Befugnisse 
der Polizei einzuführen, sondern habe nur im Rahmen der landrechtlichen 
Bestimmungen die Machtbefugnisse im einzelnen näher spezialisieren 
wollen. Die herrschende Meinung?) und die Rechtsprechung hält daran 
fest, daß Polizeiverordnungen auch nach dem Ges. vom 11. März 1850 
nur im Rahmen der landrechtlichen Vorschriften erlassen werden können, 
mit anderen Worten, daß Polizeiverordnungen, welche Förderung der 
allgemeinen Wohlfahrt bezwecken, unzulässig sind. 
Wohl kennt das preußische ALR. selbst die Wohlfahrtspolizei, es 
weist aber diese dem Oberhaupte des Staates zu, indem es im § 3 
II, 13 ALR. ihm allein das Recht zuspricht, „für Anstalten zu sorgen, 
wodurch den Einwohnern Mittel und Gelegenheit verschafft werden, 
ihre Fähigkeiten und Kräfte auszubilden und dieselben zur Beförderung 
ihres Wohlstandes anzuwenden“. 
Nur dann können Polizeibehörden eine auf Wohlfahrtspflege ge- 
richtete Tätigkeit ausüben, wenn ihnen hierzu durch besonderes 
Gesetz die Ermächtigung erteilt wird (ogl. OVG. E. Bd. 9 S. 353 
und 370; Bd. 12 S. 384; Bd. 15 S. 434; Bd. 23 S. 396; 
Bd. 26 S. 328; Bd. 38 S. 299). Dagegen folgt die Zuständigkeit 
der Polizei zu einer derartigen polizeilichen Exekution nicht aus dem 
  
1) So Rofin in s. Polizeiverordnungsrecht in Preußen. Breslau. 2. Aufl. 1895. 
3) So v. Schulze, Löning, v. Stengel, Biermann.
	        
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