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und Kraft der arbeitenden Bevölkerung, Wachstum und Wohlstand der
Nation und der Bestand und die Machtstellung des Staates ab. Für
den Staat ergeben sich daraus die Forderung und Lösung der wichtigsten
Kulturaufgaben, wie H##iene des Lebens (Überwachung und Ver-
ringerung der Prostitution, Beschränkung des Alkoholgenusses, natur-
gemäße Ernährung der Säuglinge, Erhaltung der Nährfähigkeit der
Mütter, Kinderpflege, Schulhygiene, Verhinderung gefährlicher und ge-
sundheitsschädlicher Arbeitsgelegenheit in der Fabrik, im Gewerbe und
in der Heimarbeit), Verbot gesundheitsschädlicher Wohnungen und
Schaffung günstigerer Wohnungsbedingungen, Beschaffung von keim-
freiem Trinkwasser, Kontrolle des Nahrungsmittelverkehrs, Abfuhr der
Sink= und Abfallstoffe, Trockenlegung des Bodens, Reinhaltung der
Luft, Regelung des Begräbniswesens.
2. Die staatliche Organisation der Gesundheitspflege.
Nach der RV. Art. 4 Nr. 15 gehören die Maßregeln der Medizinal-
und Veterinärpolizei zur Zuständigkeit des Deutschen Reichs (vgl. über
die Reichskompetenz und die Betätigung der Reichsgesetzgebung auf
diesem Gebiete B. 1 § 123. S. 374 ff. dieses Werkeg).
Die Verwaltung des Gesundheitswesens erfolgt, abgesehen
von der obersten technischen Aussichtsbehörde, dem von dem Reichsamt
des Innern ressortierenden Kaiserlichen Gesundheitsamt in
Berlin (vgl. über dieses Amt Bd. 1 S. 376 unter c) dieses Werkes),
durch die Landesbehörden.
Für Preußen werden die Medizinalangelegenheiten unter
Ausscheidung der Viehseuchenangelegenheiten, welche jetzt dem Land-
wirtschaftsminister zugewiesen sind, in oberster Instanz von der dritten
Abteilung für die Medizinalangelegenheiten des Kultusministeriums
bearbeitet, in der zu diesem Zwecke unter Leitung eines Ministerial=
direktors eine Reihe von vortragenden Räten mit medizinischer Fach-
bildung (Geh. Medizinal= und Geh. Obermedizinalräte) und Hilfs-
arbeitern tätig sind.
Als Publikationsorgan zur Veröffentlichung allgemeiner Er-
lasse und Verordnungen dienen für das Reich die Veröffentlichungen
des Kaiserlichen Gesundheitsamts (seit 1895) und für Preußen seit
1901 das Ministerialblatt für Medizinal= und medizinische Angelegen-
heiten.
Als oberstes begutachtendes Organ für den gesamten preußischen
Staat fungiert die wissenschaftliche Deputation für das
Medizinalwesen, ein Kollegium, welches aus den ersten Vertretern
der medizinischen Wissenschaft sich zusammensetzt, dem Kultusministerium
angegliedert ist und dem als Direktor ein Ministerialdirektor des
Ministeriums vorsteht (Gesch. Anw. v. 9. Oktober 1888 |[MBl. S. 193.).
Eine Zuziehung von Vertretern der Arztekammern ist vorgesehen durch
V. vom 25. Mai 1887 (GS. S. 169) § 3 und vom 21. Juli 1892
(GS. S. 222).
Für pharmazeutische Angelegenheiten besteht noch der Apotheker-
rat (Gesch. Anw. vom 29. April 1896), technische Kommission für
vorerwähnte Angelegenheiten.