Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

298 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung. 
Viertes Kapitel. 
Land= und Forstwirtschaft. 
Erster Titel. 
Die preußische Agrargesetzgebung. ) ) 
#u 74. Entwicklungsgeschichte. (Überblick.)7) 
Wie in Deutschland überhaupt, so auch in Preußen, waren noch im 
18. Jahrhundert der geschichtlichen Entwicklung entsprechend die Rechte 
der Herrenhöfe einerseits und die der Bauerngüter und ländlichen Be- 
sitzungen anderseits je nach dem Territorium, in dem sie lagen, sehr 
verschieden gestaltet. Dieser Buntscheckigkeit in den Rechten des länd- 
lichen Besitzstandes trägt auch das preuß. ALR. Rechnung. Dieses ver- 
tritt noch den Standpunkt, daß nur der Adel zum Besitze adeliger 
Güter berechtigt ist (II 9 § 37). Anderseits sollten Adelige Bauern- 
güter nicht ohne Genehmigung der Landespolizei erwerben dürfen 
(§ 73, II 9). Alle diese Erwerbsbeschränkungen wurden erst beseitigt 
durch das Edikt vom 9. Oktober 1807. 
Was das Verhältnis der Gutsherren zu den von ihnen mit einem 
Gute ausgestatteten Hintersassen anlangte, so war auch hier die Rechts- 
lage eine sehr mannigfaltige. Persönlich waren diese Hintersassen in 
der Regel zur Leistung von Fronen verpflichtet, mittels welcher 
die Bestellung des Herrenhofes und der Vertrieb der landwirtschaftlichen 
Produkte desselben erfolgte. Die Leistungen bestanden teils in Hand- 
teils in Spanndiensten. Die Rechte, welche den Hintersassen an dem ihnen 
verliehenen Gute zustanden, waren nur selten freies Eigentum und auch 
dieses noch mit Diensten und Abgaben belastet. Vielfach war das 
verliehene Recht nur ein Erbzinsrecht, bei welchem dem Bauer das 
nutzbare Eigentum, dem Grundherrn das Obereigentum zustand. Der 
Bauer zahlte in diesem Falle einen — zu dem Ertrage des Gutes in 
keiner Beziehung stehenden — Kanon als Anerkennungsgebühr für die 
Rechte des Obereigentümers. Das preuß. ALR. hat diese Erbzinsgüter 
behandelt I, 18 unter dem „geteilten Eigentum“. 
Vielfach war der Hintersasse Erbpächter, dann hatte er nur ein 
vererbliches dingliches Recht, für dessen Gewährung er einen fest- 
bestimmten Erbpachtzins an den Gutsherrn, als den Alleineigentümer, 
zu zahlen hatte. 
In sehr vielen Fällen hatte aber der Hintersasse nur ein Nutzungs= 
recht auf Widerruf. Bei dieser prekaristischen Art der Überlassung 
des Guts wurde es allerdings üblich, dies Nutzungsrecht dem Hinter- 
1) Literatur: Glatzel, Die preußische Agrargesetzgebung. Berlin. 1895; Buchen- 
berger, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. Berlin. 2. Aufl. 1899; Petersen, Die 
preußische Auseinandersetzungs= und Rentengutsgesetze. Berlin. 1899; Sterneberg 
und Peltzer, Dasselbe 2. Aufl. Berlin 1900. 
2) Die preußische Agrargesetzgebung ist von dem BG. unberührt geblieben. 
Art. 113—116 EG. z. BGB. 
*) Vgl. Dernburg, BR. Bd. 3 88 51ff.
	        
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