16 1. Buch. Verfassung des preußischen Staates.
Stimmabgabe zu Protokoll. Das Mahlversahen regelt das Wahl-
reglement vom 8. September 1893 (MBl. 164). Die Urwählerliste,
für die die letzte allgemeine Volkszählung maßgebend ist, ist in jeder Ge-
meinde 3 Tage öffentlich auszulegen. Über erhobene Einwendungen
entscheidet in Gemeinden mit 1750 und mehr Seelen die Gemeinde-
verwaltungsbehörde, sonst der Landrat. Nach Auslegung der Urwähler-
listen werden die Abteilungslisten aufgestellt, und zwar in Gemeinden,
die für sich einen Urwahlbezirk bilden und in Urwahlbezirken, die aus
mehreren Gemeinden bestehen, nur eine. Ist eine Gemeinde in mehrere
Urwahlbezirke geteilt, so wird für jeden Bezirk eine besondere Ab-
teilungsliste gefertigt. Die Abteilungslisten werden gleichfalls öffent-
lich ausgelegt. Ihre Feststellung erfolgt von der Gemeindeverwaltungs-
behörde bezw. dem Landrat. Nach erfolgter Feststellung bezw. Er-
ledigung der Reklamationen findet die Zusammenberufung der Urwähler
zur Wahl der Wahlmänner statt. Der Wahlvorsteher ernennt den
Protokollführer und 3—6 Beisitzer. Die Wahlkommissare für die
Abgeordnetenwahl bestimmen die Regierungspräsidenten, in Berlin der
Oberpräsident.
Die Mängel des vorstehenden Wahlsystems sind viel erörtert
und allbekannt. Das System geht von plutokratischen Prinzipien
aus, die den modernen Anschauungen nicht mehr entsprechen. Viel-
fach sind schon Versuche gemacht worden, Anderungen in diesem
System zu bewirken, es hat sich aber bisher ein Ausgleich zwischen
den widerstreitenden Interessen nicht finden lassen. Gegenwärtig ist
ein nationalliberaler Initiativantrag geplant, welcher die Umgestaltung
der Wahlen zum Abgeordnetenhause plant. Danach soll eine ander-
weite Feststellung der Wahlbezirke und der Zahl der in ihnen zu
wählenden Abgeordneten angestrebt werden, ferner will man — unter
Beibehaltung eines höheren Wahlrechts bei höherer Steuerleistung —
ein erhöhtes Wahlrecht auch bei höherer Bildung und höherem Alter
einführen, den Wählern der dritten Abteilung ein erweitertes Wahl-
recht einräumen, die indirekte Wahl beseitigen, und schließlich auch den
Minderheiten eine Vertretung gewähren, d. h. die Proportionalwahl
einführen, wie sie schon reichsgesetzlich für die Beisitzerwahlen zum
Gewerbe= und Kaufmannsgericht (§ 24 Gew. GG. u. § 12 Kaufm.
GG.) anerkannt ist.
Zum Abgeordneten ist jeder Preuße wählbar, der das 30. Lebens-
jahr vollendet hat, im Vollbesitze der bürgerlichen Ehrenrechte und,
wenn er Nichtdeutscher war, 1 Jahr preußischer Staatsangehöriger ist
(Art. 74, § 29 der Wahl-V.). Niemand kann Mitglied beider Häuser
sein. Das Mandat der Abgeordneten erstreckt sich auf die Dauer der
Legislaturperiode, welche seit 1888 auf 5 Jahre verlängert worden
ist (Art. 73 VU. und Ges. v. 27. Mai 1888 GS. S. 137). Über
Anfang und Ende der Legislaturperiode herrscht Streit (vgl. Herrfurth
im Verwaltungsarchiv Bd. 14 S. 89 ff.). Der richtigen Ansicht nach
beginnt die Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses
(ebenso des Deutschen Reichstages) am Tage der Wahlen und
endigt an dem Tage, an welchem vom Tage der Wahl ab fünf Jahre