Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

406 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung. 
werden dürfen. Diese Abgaben, sowie die Abgaben für die Befahrung 
solcher künstlichen Wasserstraßen, welche Staatseigentum sind, dürfen 
die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und 
Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Auf die Flößerei 
finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als dieselbe auf 
schiffbaren Wasserstraßen betrieben wird (Art. 54 Abs. 4 RV.). 
Über die Bedeutung und Auslegung des Abs. 4 des Art. 54 ist 
lebhafter Streit entbrannt,!) welcher praktisch geworden ist bei Ge- 
legenheit des preußischen Gesetzes über die Herstellung und den Ausbau 
von Wasserstraßen vom 1. April 1905 (GS. S. 179). In diesem 
Gesetz findet sich nämlich die Vorschrift, daß auf den im Interesse 
der Schiffahrt regulierten Strömen künftig Abgaben für die Vergütung 
solcher Anstalten erhoben werden sollen, durch welche die Schiffbarkeit 
über den natürlichen Zustand hinaus erhöht worden ist. Es fragt 
sich, ob diese Bestimmung nicht gegen die reichsgesetzlichen Vor- 
schriften des Art. 54 RV. verstößt und etwa eine Anderung der NV. 
und bestehender Staatsverträge notwendig mache. Der Wortlaut des 
Abs. 4 des Art. 54, ebenso wie der angebliche Zusammenhang zwischen 
Abs. 3 und 4 entscheiden die Fragen nicht. Ins Gewicht fällt, 
welche Absicht die gesetzgebenden Faktoren bei Fassung des Abs. 4 
verfolgt haben. In dieser Beziehung ist von nicht zu unterschätzender 
Bedeutung eine unwidersprochene Außerung des Staatsministers Delbrück, 
welcher namens des Bundesrats am 19. Mai 1870 den Art 54 
dahin erläuterte: Die Bundesverfassung spricht in Art. 54 aus- 
drücklich aus, daß Schiffahrtsabgaben, wie sie hier ins Auge gefaßt 
sind, nicht erhoben werden sollen; sie beschränkt die Zulässigkeit von 
Abgaben für die Schiffahrt auf solche, welche für die Benutzung be- 
stimmter Anstalten erhoben werden, welche ein Aquivalent für 
die Benutzung solcher Anstalt sind, und sie läßt es nicht zu, Abgaben 
zu erheben, welche lediglich den Zweck haben, die Kosten für die 
gewöhnliche Unterhaltung der Fahrbarkeit der Ströme aufzubringen 
(Sten. Ber. des Reichstages S. 1031). Im Einklang mit dieser 
Erläuterung steht der Art. 25 des Zollvereinigungsvertrages vom 
8. Juli 1867 (BEl. S. 81), aus welchem der Abs. 4 Art. 54 
NV. nur verkürzt entnommen ist, denn dort wird bestimmt: „Kanal., 
Schleusen-, Fähr-, Hafen-, Wage-, Kranen= und Niederlagegebühren 
und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs 
bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklicher Einrichtungen 
erhoben werden und, mit Ausnahme der Abgaben für die Be- 
fahrung der nicht im Staatseigentum befindlichen künstlichen Wasser- 
straßen, die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung erforder- 
lichen Kosten nicht übersteigen.“ Folgt man vorstehender Aus- 
  
  
1) Vgl. Löning in DJZ. 1905 S. 278, Rehm in Münchener Neuesten Nachr. 1905 
Nr. 75; ferner M. Peters Schiffahrtsabgaben, Leipzig 1906. Dazu Best. i. Recht X. 
Jahrgang Nr. 15—16 S. 874 bis 895, ferner Peters ebendaselbst X. Jahrgang 
Nr. 18, S. 1034 bis 1049 und Nr. 19 S. 1089— 1114; Arndt ebendaselbst 
XI. Jahrgang, Nr. 9 S. 542— 545. Reincke, Die Verf. des Deutschen Reichs 
Berlin 1906. Bem. zu Artikel 54 Abs. 4 S. 258.
	        
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