30 1. Buch. Verfassung des preußischen Staates.
Die Ortspolizeibehörde ist befugt, in die Versammlung einen oder
zwei Polizeibeamte zu senden (§ 4 d. Verordn.). Diese sind berechtigt,
vorbehaltlich des gegen die Beteiligten gesetzlich einzuleitenden Straf-
verfahrens, sofort jede Versammlung aufzulösen, bezüglich deren die
Bescheinigung der erfolgten Anzeige nicht vorgelegt werden kann, oder
wenn in der Versammlung Anträge oder Vorschläge erörtert werden,
die eine Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten,
oder in der Versammlung Bewaffnete (oder in Versammlungen und
Sitzungen politischer Vereine Frauen, Schüler, Lehrlinge) erscheinen,
die der Aufforderung des Abgeordneten der Obrigkeit entgegen sich
nicht entfernen (§8§ 5, 8). Nach Auflösung sind alle Anwesenden
verpflichtet, sich sofort zu entfernen, eventl. kann die bewaffnete Macht
einschreiten (§ 6). Niemand darf in einer Versammlung bewaffnet
erscheinen (§ 7). Eine Erleichterung gilt insofern für die Ver-
sammlungen eines Vereins, welcher eine Einwirkung auf öffentliche
Angelegenheiten bezweckt, daß, wenn Zeit und Ort statutenmäßig oder
durch einen besonderen Beschluß im voraus feststeht, und dieses wenigstens
24 Stunden vor der ersten Versammlung der Ortspolizei angezeigt ist,
es einer besonderen Anzeige für die einzelnen Versammlungen nicht
bedarf (§ 3). Politische Vereine, d. h. solche Vereine, welche die
bewußte Absicht verfolgen, die Mitwirkung und Inanspruchnahme des
Staates und seiner Organe bezüglich sozialer Verhältnisse in Ver-
sammlungen zu erörtern (OVG. Urt. vom 10. November 1896 in
PVhl. Bd. 18 S. 369), dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und
Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; derartige Personen dürfen auch
den Versammlungen und Sitzungen nicht beiwohnen (§ 8). Für
öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel muß die Erlaubnis
wenigstens 48 Stunden vorher nachgesucht werden. Sie darf nur
versagt werden, wenn aus Abhaltung der Versammlung Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu befürchten ist; für Ver-
sammlungen auf öffentlichen Straßen hat die Polizei bei Erteilung
der Genehmigung auch alle dem Verkehr schuldigen Rücksichten zu
beachten (§ 9). Den öffentlichen Versammlungen werden öffentliche
Aufzüge in Städten und Ortschaften oder auf öffentlichen Straßen
gleichgestellt. Gewöhnliche Leichenbegängnisse, sowie Züge der Hochzeits-
versammlungen, wo diese hergebracht sind, kirchliche Prozessionen,
Wallfahrten bedürfen weder einer Genehmigung noch Anzeige (§ 10).
Innerhalb zweier Meilen von dem Orte der jedesmaligen Residenz,
oder von dem Orte des Sitzes beider Kammern dürfen Volksver-
sammlungen unter freiem Himmel von der Ortspolizeibehörde nicht
gestattet werden (§ 11). Auf die durch Gesetze oder die gesetzlichen
Autoritäten angeordneten Versammlungen (hierher gehören alle dem
öffentlichen Rechte angehörenden Verbände der Kreise, Gemeinden,
anerkannten Religionsgesellschaften, Aktiengesellschaften, Innungsver-
bände und dergl.) und die Mitglieder der Versammlungen beider Kammern
während der Dauer der Sitzungsperiode finden die Bestimmungen dieses
Gesetzes keine Anwendung. Vorerwähnte Beschränkungen (8§ 8) gelten
auch nicht für Wahlvereine, sofern diese für die gerade anstehende