Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

482 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung. 
Titel III G## 15—43) gibt die Vorschriften für das Enteignungs= 
verfahren, welches seinerseits wieder in folgende Abschnitte geglieden 
wird: 1. vorläufige Planfeststellung durch die zuständigen Zentral- 
wie Provinzialbehörden (§ 15); 2. endgültige Planfeststellung durch 
den Bezirksausschuß (§§ 18—23); 3. Festsetzung der Entschädigung 
im Verwaltungswege durch den Bezirksausschuß Es 24—29)9; 4. Fest- 
stellung der Entschädigung im Rechtswege (88 30, 31); 5. Enteignungs= 
erklärung durch den Bezirksausschuß (§§ 32, 33), Vollziehung der 
Enteignung und allgemeine Bestimmungen (§§ 39—43). 
Titel IV ½iE 44—49) stellt die Wirkungen der Enteignungen fest. 
Titel V (6P8 50—53) trifft besondere Bestimmungen über die 
Entnahme von Wegebaumaterialien. 
Titel VI E§ 54—58) enthält Übergangs= und Schlußbestimmungen. 
3. Rechtliche Natur der Enteignung. Lbwoot die Enteignung 
schon nach Art. 9 der preuß. Verf. Urkunde und § 75 Einleitung 
zum preuß. AL R. 8 75 sich als staatlicher Zwangsakt darstellt, hat 
die Judikatur des preußischen Rechts, insbesondere das preußische 
Obertribunal in ständiger Rechtsprechung, namentlich den bedeutendsten 
Fall der Enteignung, den des Grundeigentums nach dem Gesetz vom 
11. Juni 1874, als Kaufgeschäft und zwar notwendigen Kauf oder 
Zwangskauf beurteilt (uogl. Rehbein, Entsch, des preuß. Obertribunals 
Berlin 1887. Bd. 2 S. 216 f. u. Anmerkung). 
Der hiergegen sich immer mehr bahnbrechenden Opposition namhaftester 
Juristen, wie Lorenz Stein, Dernburg, Laband, Cosack u. a. wird 
man beitreten müssen, da die Regeln des Kaufes in keiner Weise Platz 
greifen. Der Enteignete ist weder zu irgendwelchen Leistungen, 
obligatorischen Verpflichtungen verbunden, insbesondere nicht zur Auf- 
lassung enteigneter Grundstücke, noch haftet er für Mängel im 
Recht oder in der Sache. 
Die herrschende Meinung vertritt daher den Standpunkt, daß im 
Mittelpunkt des Enteignungsverfahrens ein öffentlich-rechtlicher Akt der 
Staatsgewalt steht, nämlich die Verleihung des Eigentums der Grund- 
stücke, die für ein dem öffentlichen Wohl und Nutzen dienendes Unter- 
nehmen erforderlich sind, an den Unternehmer. Vorstehenden Er- 
wägungen ist auch das Reichsgericht Bd. 61 S. 102 mit ausführlicher 
Begründung beigetreten. Das Reichsgericht betont besonders, daß von 
der das ganze Enteignungsverfahren beherrschenden Tatsache auszugehen 
ift, daß in diesem Versahren der Staat kraft seiner Allgewalt dem 
Unternehmer durch einen öffentlich-rechtlichen Akt das Eigentum an den 
Grundstücken verleiht, deren dieser für sein dem öffentlichen Wohl und 
Nutzen gewidmetes Unternehmen bedarf. Jener Eigentumsverleihungsakt 
begründet für den Unternehmer vollständig neues, selbständiges, 
ursprüngliches Eigentum; denn es ist für die Zwecke des Unternehmens 
schlechthin gleichgültig, wer vorher Eigentümer der Grundstücke war; 
es handelt sich ohne Rücksicht auf die Person des früheren Eigentümers 
lediglich darum, daß diese Grundstücke für das Unternehmen ver- 
wendet werden. Es findet daher keine übertragung des Eigen- 
tums von dem bisherigen Eigentümer auf den Unternehmer statt, 
  
 
	        
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