526 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
Art. 15, 16, 18 viel weiter. In Art. 15 wird bestimmt: „Die evangelische
und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesell-
schaft, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt
im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts= und Wohltätig-
keitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.“ Ferner hat
Art. 16 den Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen für
frei und unbeschränkt erklärt, endlich in Art. 18 das Ernennungs-,
Vorschlags= und Bestätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen,
soweit es dem Staate zusteht und nicht auf dem Patronat oder be-
sonderen Rechtstiteln beruht, aufgehoben.
Durch diese Bestimmungen war die vollständige Unabhängigkeit und Frei-
heit der katholischen und evangelischen Kirche von Staat zum Ausdruck ge-
bracht, mit ihr fiel auch jedes weltliche Aufsichtsrecht über die Kirche und
deren Diener. Für die evangelische Kirche ergab sich aus dieser
Rechtslage die Lösung ihrer Organisation von der des Staates. Deshalb
wurde unter Aufrechterhaltung des landesherrlichen Kirchenregiments
1850 für Alt-Preußen als oberste kirchliche Verwaltung an Stelle des
Kultusministeriums der preußische evangelische Oberkirchenrat begründet.
Die katholische Kirche sah sich durch die Bestimmungen der
preußischen Verfassungsurkunde bei ihrer straffen und vollständigen, bis
ins einzelne durchgeführen Organisation von lästigen Schranken, die
ihr durch das Aufsichtsrecht des Staates gezogen waren, befreit. Es
war ihr nunmehr eine freiere Bewegung und Entfaltung ihrer Kräfte
möglich. Durch den vielfach gegensätzlichen Standpunkt der katholischen
Kirche bei mannigfachen, den überwiegend protestantischen Staat Preußen
berührenden Fragen waren Konflikte unvermeidlich. Der Konfliktsstoff
vermehrte sich durch die Erstarkung Preußens zum evangelischen Kaiser-
tum, insbesondere aber auch durch die Beschlüsse des Vatikanischen
Konzils (1869—1870), infolge deren der Papst in der Const. Pastor
aeternus vom 18. Juni 1870 de ecclesia Christi mit der Auf-
stellung des Unfehlbarkeitsdogmas ein unbedingtes Anordnungsrecht in
Sachen des Glaubens und der Sitten für sich in Anspruch nahm, welches
zu einer Trennung der Altkatholiken von den Anhängern des Unfehl-
barkeitsdogmas führte. In Kirche und Schule, selbst im bürgerlichen
Leben trat in Preußen der hierdurch geschaffene, von der bischöflichen
Gewalt in engherziger Weise geschürte Unfriede hervor. Hinzu traten
noch andere Differenzpunkte bezüglich der Behandlung katholisch-evange-
lischer Ehen (Mischehen), Kindererziehung aus diesen Ehen u. dergl. m.
Der dogmatische Gegensatz zwischen der alten und der seit dem Vati-
kanum bestehenden neuen Lehre des Katholizismus machte sich besonders
in dem katholischen Religionsunterricht in Gymnasien und Schulen
(Gymnasium zu Bensberg) geltend, wo katholische Eltern sich weigerten,
ihre Kinder an dem katholischen Religionsunterricht staatlicher Unter-
richtsanstalten teilnehmen zu lassen, wo altkatholische Lehrer diesen
Unterricht erteilten. Das schroffe und unnachsichtliche Festhalten der
deutschen Kirchenoberen an der neuen Kirchenlehre des Vatikans zwang
den preußischen Staat, den Übergriffen der katholischen Kirche entgegen-
zutreten und die seit 1850 völlig verwischte Grenzlinie zwischen Staat