§ 150. Die gegenwärtige Stellung d. preuß. Staates zu den Kirchen ꝛc. 547
faßte man früher in 3 Gruppen zusammen und bezeichnete sie mit
dem Sammelnamen: Jus reformandl d. h. die selbständige, freie
Ordnung der Religionsangelegenheiten in jedem Staate durch den
Landesherrn, das Jus advocatiae ober protegendi, das Schutzrecht
und das Jus supremae inspectionis oder inspiciendi et cavendi,
das sog. Staatsaufsichtsrecht.
Vorstehende Befugnisse werden den modernen Kultur= und Rechts-
anschauungen nicht mehr gerecht. Man hat dieser Entwicklung auch
staatlicherseits Rechnung getragen. Der modernen Anschauung ent-
sprechend ist, nachdem bereits die Bundesakte im Art. 16 den Mit-
gliedern der drei rezipierten christlichen Konfessionen den Genuß aller
bürgerlichen und politischen Rechte gewährleistet hatten, und ferner seit
1848 in den größeren deutschen Staaten, besonders auch für Preußen
durch Art. 12 der preußischen Verfassungsurkunde die Freiheit des
religiösen Bekenntnisses anerkannt wurde, die Ausübung jeder Religion,
auch die Vereinigung zu Religionsgesellschaften gestattet war, durch die
deutsche Reichsgesetzgebung für das gesamte Gebiet des Deutschen Reichs
durch die Gesetze vom 1. November 1867 und vom 3. Juli 1869 grundsätzlich
ausgesprochen worden, daß alle noch bestehenden, aus der Verschieden-
heit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte hierdurch aufgehoben werden,
insbesondere darf auch aus diesem Grunde keine Niederlassungs-
beschränkung verfügt werden.
Vorstehende grundsätzlich gleiche Behandlung aller Staatsbürger in
religiöser und politischer Hinsicht schließt nicht aus, daß der Staat
landesgesetzlich die Privilegien der verschiedenen Religionsgesellschaften
verschieden bemißt.
Das preußische A#R. macht die Daseinberechtigung der Kirchen-
gesellschaften davon abhängig, daß sie ihren Mitgliedern Ehrfurcht
gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den
Staat, und sittlich gute Gesinnung gegen ihre Mitbürger einflößen.
Religionsgrundsätze, welche diesem zuwider sind, sollen im Staat nicht
gelehrt, und weder mündlich, noch in Volksschriften ausgebreitet
werden. Nur der Staat hat das Recht, dergleichen Grundsätze nach
angestellter Prüfung zu verwerfen und deren Ausbreitung zu unter-
sagen (§§ 13—15 des preußischen ALR. II 11).
Im übrigen gilt seit der Emanation des preuß. ALR. in Preußen
der Grundsatz der Freiheit des Assoziationsrechts zu
religiösen Zwecken. Zunächst war freilich noch staatliche Genehmigung
erforderlich (§ 10 II 11 ALR). Dieses Erfordernis ist aber durch
Art. 12 der preußischen VuU. beseitigt. Das AL#R. unterscheidet zwei
Artten religiöser Assoziationen (Religionsgesellschaften), nämlich
solche, welche sich zur öffentlichen Feier des Gottesdienstes, zur gemein-
schaftlichen Feier in hierzu bestimmten Gebäuden im Gegensatz zu Haus-
andachten in Privatwohnungen (Koch, ALR. § 11 II 11 Anm. 24)
verbunden haben, und welche es als Kirchengesellschaften bezeichnet, und
diejenigen, welche zu gewissen besonderen Religionsübungen vereinigt
sind (Stifte, Klöster, Orden, § 939 a. a. O.), welche es
— 86*