Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

A. Vergleichende Darstellung des Verwaltungsstreitverfahrens. 631 
Entscheidung sind, und die ergehende Entscheidung nur Recht unter den Parteien 
schafft (ius facit inter partes), handelt es sich im Verwaltungsstreitverfahren um 
dem öffentlichen Rechte angehörige Befugnisse, die über den Interessenkreis der 
Streitteile hinausragen und das allgemeine Staatswohl, die Staatsinteressen viel- 
fach berühren. Den Vertretern dieser ist deshalb auch das Recht einer Beteiligung 
an dem Verfahren selbst gegeben und insbesondere auch die Befugnis zur Einlegung 
von Rechtsmitteln im öffentlichen Interesse vorbehalten. Liegt einer öffentlichen 
Behörde als Partei die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses ob, so kann auf 
deren Antrag der Regierungspräsident für die mündliche Verhandlung vor 
dem Bezirksausschusse und der Ressortminister für die mündliche Verhandlung vor 
dem Oberverwaltungsgerichte einen Kommissar zur Vertretung der Behörde bestellen. 
(Vertreter des öffentlichen Interesses.) Dieser vertritt die Behörde als 
Partei, allerdings nur für die mündliche Verhandlung. Zur Empfangnahme der 
Entscheidung des Gerichts und zur Einlegung von Rechtsmitteln für die Partei ist 
er jedoch nicht legitimiert (OVG. E. Bd. 8 S. 426 in v. Kamptz Bd. 4 S. 1250). 
Außerdem kann der Regierungspräsident bezw. der Ressortminister in geeigneten 
Fällen auch ohne Antrag einer Partei einen besonderen Kommissar zur Wahr- 
nehmung des öffentlichen Interesses bestellen. In diesem Falle ist er gleichfalls nur 
bei der mündlichen Verhandlung beteiligt. Er ist vor Erlaß des Endurteils mit 
seinen Ausführungen und Anträgen zu hören. Vertreter einer Partei ist er nicht, 
er erhält Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 81 LVG. (Zirkularverf. des OV G. 
vom 26. September 1876; E. Bd. 1 S. 435 u. S. 325 in v. Kamptz Bd. 4 S. 1250), 
ist aber nicht befugt zur Einlegung von Rechtsmitteln (§ 74 Abs. 2 LVG.). 
Der Vorsitzende des Kreis-(Stadt-ausschusses, des Bezirksausschusses und der 
Ressortminister haben das Recht, behufs der erforderlichen Wahrnehmung des öffent- 
lichen Interesses einen Kommissar zu bestellen, wenn das Gesetz die öffentliche Be- 
hörde, welche die Rolle des Klägers oder des Beklagten wahrzunehmen hat, nicht 
bezeichnet (§ 74 Abs. 3 LVG.). In diesem Falle tritt der Kommissar an die 
Stelle der Partei und zwar für das ganze Verfahren. Er ist daher auch 
zur Empfangnahme von Entscheidungen und zur Einlegung von Rechtsmitteln be- 
sugt. Beispiele für vorstehende Fälle bilden die Streitigkeiten über die Eigenschaft 
einer Ortschaft als Gemeinde, oder eines Gutes als Gutsbezirkes (ZG. 88 9, 26; 
OG. E. Bd. 12 S. 181 in v. Kamptz Bd. 4 S. 1250); bei Versagung der Schank- 
konzession, wenn Gemeinde= und Ortspolizeibehörde nicht widersprechen (§ 114 Gew.O.), 
sowie der in § 115 GO. erwähnten Konzessionen, ferner bei einem Streitverfahren 
wegen Gründung von Kolonien (O#. E. Bd. 21 S. 390; Bd. 29 S. 410 in 
v. Kamptz Bd. 4 S. 682, S. 1252); bei Anträgen der Fischereigenossenschaften auf 
mündliche Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren gegen Aufsichtsverfügungen 
des Kreis-(Stadt-hausschusses (OV G. E. Bd. 27, 292 in v. Kamptz Bd. 4 S. 1252) 
und im Streitverfahren über die Genehmigung eines Krankenkassenstatuts (O#G. 
E. Bd. 27 S. 292 in v. Kamptz Bd. 4 S. 1252). 
§ 74 Abs. 3 LVG. ermächtigt jedoch nicht den Vorsitzenden des Kreis-(Stadt.) 
ausschusses zur Bestellung eines Kommissars lediglich aus der Besorgnis, daß die 
gesetzlich zur Wahrnehmung der Parteirolle befugte Behörde das von ihr wahrzu- 
nehmende Interesse nicht in gehöriger Weise ausüben werde (OVG. E. vom 
28. Januar 1902 in v. Brauchitsch, Verwaltungsges. Bd. 1 Anm. 135 zu § 74 
LVG. (20. Aufl.) S. 102). Der Kreis der an dem Rechtsstreit beteiligten Per- 
sonen kann dadurch eine dem Verwaltungsrecht eigentümliche Erweiterung erfahren, 
daß das Gericht auf Antrag oder von Amtswegen die Beiladung dritter, deren 
Interesse durch die zu erlassende Entscheidung berührt wird, verfügen darf. Die 
Entscheidung ist in diesem Falle auch dem Beigeladenen gegenüber gültig (§ 70 LVG.). 
3. Leitende Grundsätze des Verfahrens.) 
Für beide Verfahrensarten, sowohl für das Verwaltungsstreit= als für das zivil- 
prozessuale Verfahren gelten als Fundamentalsätze Offentlichkeit, Münd- 
lichkeit und freie richterliche Beweiswürdigung. Bezuüglich der 
  
1) Vgl. für das folgende auch G. Bartels, Das Verfahren vor den Ver- 
waltungsgerichten. Berlin, Karl Heymanns Verlag 1907.
	        
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