Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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so kann auch das erste und wichtigste Reichsgesetz, auf dem alle 
weitere Reichsgesetzgebung beruht, die Reichsverfassung, nicht 
bloss ein in allen Staaten übereinstimmend erlassenes Landesver- 
fassungsgesetz, sondern sie muss die erste Willensäusserung der 
zur Existenz gelangten Bundesstaatsgewalt sein. Nicht einem 
Gebote ihrer particularen Staatsgewalt gehorchen die Preussen, 
die Württemberger, die Hamburger, wenn sie die Wahlen zum 
Reichstage vornehmen oder sich zum Dienste im Heere oder in 
der Flotte stellen, sondern dem Gebote der Reichsstaatsgewalt, 
die sich nur in manchen Beziehungen der Behörden der Einzel- 
staaten als ihrer Organe, als mittelbarer Reichsbehörden bedient. 
Beruht nun aber für die Unterthanen die verbindliche Kraft 
der Reichsverfassung nicht auf übereinstimmenden Landesver- 
fassungsgesetzen, zu deren Erlasse die Einzelstaaten sich völker- 
rechtlich verpflichtet hatten, so ist auch für die Staaten die fort- 
dauernde Geltung der Reichsverfassung unabhängig von der völker- 
rechtlichen Verpflichtung. Ein Vertrag der sämmtlichen deutschen 
Staaten, die auf Grund des Augustbündnisses und der Versailler 
Verträge gegen einander eingegangenen Verbindlichkeiten zu lösen 
und der Erlass der zur Ausführung eines solchen Vertrages er- 
forderlichen Landesausführungsgesetze betreffend Aufhebung der 
Reichsverfassung in denselben würde keinen deutschen Staat von 
der Verpflichtung zur fortdauernden Beobachtung der Reichsver- 
fassung entbinden. Denn diese kann nur auf dem reichsverfassungs- 
mässigen Wege abgeändert werden. Für die Einzelstaaten ist 
daher die Reichsverfassung nicht internationales Vertragsrecht, 
sondern gleichfalls objectives, von der souveränen Reichsgewalt 
gesetztes Recht. 
Die gegenwärtige Verbindlichkeit der Reichsverfassung beruht 
weder für die Unterthanen auf einem übereinstimmenden Landes- 
verfassungsgesetze der deutschen Bundesstaaten, noch für die 
Staaten auf der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung, 
sondern für beide auf dem eigenen Herrschaftsrechte der Reichs-
	        
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