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als preussische Bevollmächtigte oder Kommissare des Bundes-
rates, sondern als kaiserliche Beamte zur Vertretung der selb-
ständigen Politik des Reiches®?“., Aber auch dieses dem Kaiser
aus der Praxis erwachsene Recht hat lediglich formelle Bedeu-
tung: die Vertretung der Vorlagen durch den Reichskanzler und
seine Vertreter in ihrer Eigenschaft als kaiserliche Beamte hat
durchaus im Sinne des Bundesratsbeschlusses zu geschehen; ein
Unding wäre es, wenn der Kaiser in seinem Namen eine Vorlage
an den Reichstag brächte und diese selbige Vorlage im Reichstag
bekämpfte. Verfehlt ist es sonach, den Art. 9 R.-V.:
„Jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, im Reichs-
tage zu erscheinen und muss daselbst auf Verlangen jederzeit
gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten,
auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrates
nicht adoptiert worden sind“,
auf den Reichskanzler, als wäre er Vertreter einer selbständigen
Regierung, anzuwenden, wie dies von HEnseEL (a. a. OÖ. S. 15)
geschieht. Die Bestimmung des jetzigen Art. 9 bezog sich in
den Verfassungsentwürfen zweifellos lediglich auf die Regierungen
der Einzelstaaten, weil ja diese Entwürfe eine von der preussi-
schen getrennte selbständige Bundesregierung überhaupt nicht
kannten; die Bedeutung der fraglichen Bestimmung war — auch
hierüber kann ein Zweifel nicht wohl bestehen — eine Verstär-
kung des förderativen Elementes in der Bundesverfassung; nach-
dem nun zufolge der Beschlüsse des sog. konstituierenden Reichs-
tages eine selbständige, auch von der preussischen unterschiedene
Bundesregierung ins Leben getreten ist, ist es meines Erachtens
unzulässig, jene zur Verstärkung des förderativen Elementes der
Verfassung gegebene Vorschrift des Art. 9 R.-V. nunmehr zur
Verstärkung des unitarischen Elementes auszunutzen, indem man
68 HAenEL, Stud. II S. 43. — Ebenso Bispine, Jahrb. f. Gesetzgebung etc.
N.F.VS.2880; Henser, Annalen 1882, 8. 15 N. 3; Fısoner a. a. O.S. 152.