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Protestantismus. Das wird auch vom streng wissenschaftlichen Standpunkt
aus nicht von vornherein verworfen werden können. Mit dem Kirchenrecht
ist es ja eine ganz eigene Sache. Nur ein unkirchlicher Schriftsteller wird
hier ganz frei seinem Stoffe gegenüber stehen. Ob er aber dann geeignet
wäre, ihm gerecht zu werden, ist die Frage. Ein kirchlich gesinnter verliert
zwar, wie die Dinge einmal sind, sofort die volle Unparteilichkeit. Das wird
man in den Kauf nehmen müssen. Es ist ja Brauch, hier bei den Litteratur-
angaben ganz unbefangen katholische und protestantische Verfasser zu unter-
scheiden, so sehr setzt man voraus, dass dies für die Art, wie der Stoff be-
handelt wird, nicht gleichgiltig sei. Unter dem Einfluss der historischen
Schule hat man sich redlich bemüht, den Mantel der Objektivität über diese
Gegensätze zu breiten. Im vorliegenden Falle wird darauf verzichtet. Der
Verf. giebt geradezu ein Handbuch protestantischer Polemik für alles, was
mit kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Fragen zusammenhängt, und
hat sichtlich eine Freude daran, den Gegner, den Katholizismus, recht
scharf zu treffen. In manchem geht er dabei wohl zu weit, so z. B. wenn
er sogar den elenden Hödel den Jesuiten an die Rockschösse hängen will
(S. 50).
Das alles ist mehr äusserlicher Natur. Der Hinblick auf sein theologi-
sches Publikum leitet den Verf. aber auch in der Art, wie er die Rechts-
ideen selbst zum Ausdruck bringt. Diese erhalten einen religiösen Anstrich.
Das Religiöse muss selbstverständlich hier den Boden geben, auf welchem
alle juristischen Erscheinungen stehen. Man kann so wenig ein Kirchen-
recht schreiben, ohne die Dogmen der Kirche zu berücksichtigen, wie ein
Handelsrecht, ohne etwas vom Handelsverkehr zu wissen. Gegen die zahl-
reichen Citate aus der heiligen Schrift würden wir deshalb nichts einzu-
wenden haben. Bemerkenswert scheint uns nur, dass das Juristische hier in
besonders engen Zusammenhang mit dem Religiösen gebracht wird; es geht
unmittelbar aus diesem hervor als sein Erzeugnis oder steht mit seinen Ord-
nungen geradezu in einer Reihe damit. Um ein Beispiel zu geben: das
vierte Buch behandelt „die Verwaltung der Kirche“, gemeinsam für Katho-
liken und Protestanten; Kap. II „das Aemterwesen* $ 73 ist dann über-
schrieben „die Stellenbesetzung“. Hier erscheinen denn folgende Stufen:
Christus bestellte seine Jünger nur durch sein Wort. Im apostolischen und
nachapostolischen Zeitalter werden die Kleriker durch das Volk gewählt.
In der mittelalterlichen Kirche ist die Ernennung ein Recht der Bischöfe.
Die Reformatoren sind wieder für die Wahl u. s. w. Hat Christus wirklich
Aemter geschaffen und Stellen besetzt? Bei dieser Anknüpfungsweise sieht
es so aus. Man würde dem Verf. unrecht thun, wenn man sagen wollte, er
habe diese Zusammenstellung nicht ernsthaft gemeint. Er sagt schon S, 55:
„Das erste Amt‘ (der örtlichen Gemeindeverfassung) ist das von Christus
unmittelbar eingesetzte der Apostel.“ Es steckt in der That eine juristische
Grundauffassung dahinter, Er kennt für beide Kirchen ein „jus divinum“ ;