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bigen bis zum Ende der Zeiten fortsetzen soll, hat
er selbst oft das Reich Gottes, das Reich der
Himmel genannt unter dem bedeutungsvollen, jeder
Mißdeutung begegnenden Hinweis, daß es erst
ein im Nahen begriffenes, nicht ein schon vorhan-
denes sei. Als gleichbedeutend mit diesen Be-
nennungen bedient er sich auch des Wortes Kirche
(Matth. 16, 18; 18, 17). Indes beschränkt er
sich nicht darauf, auf die Begründung einer Kirche
hinzudeuten, die Idee einer solchen auszusprechen
und damit den Bildungskeim zur Verwirklichung
derselben in das Bewußtsein einzusenken wenn
das Bedürfnis diese fordern sollte; er hat sie selbst
dadurch begründet, daß er mit der Berufung der
Apostel zu seiner Stellvertretung oder mit der
Stiftung des Apostolates die Elemente ihres Seins
geschaffen und die Organe ihrer Wirksamkeit be-
stimmt hat zu dem Zweck, sein Werk zur indivi-
duellen Durchführung zu bringen, und damit selbst
erfüllt, was er früher als bevorstehend angekündigt
hatte. Auch die Apostel waren, wie alle andern,
zunächst berufen, die Lehre Christi in sich aufzu-
nehmen, in treuer Nachfolge ihm immer ähnlicher
zu werden. Außerdem bestand aber zwischen den
Aposteln und Christus noch eine andere Beziehung,
deren Wesen und Ziel über die einzelne Person
hinausging und mit der Verwirklichung der Er-
lösung in und an den Menschen zusammentraf.
Christus hat die Apostel ausgewählt, weil sie be-
stimmt waren, nicht nur Christen, sondern Stell-
vertreter in seiner Wirksamkeit zu sein. Nachdem
sie in jener engeren Gemeinschaft für diese Mission
vorbereitet waren, übertrug er ihnen unter den
Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so
sende ich euch“, die dreifache Gewalt seines Lehr-,
Priester= und Hirtenamtes (Matth. 18, 18; 28,
19—20). Es gebrach noch an dem zweiten wesent-
lichen Moment der Stellvertretung, und dieses hat
seine Verwirklichung in der Sendung des Heiligen
Geistes am Pfingstfest gefunden.
War aber die Stiftung der Kirche eine göttliche
Tat und war für ihre Wirksamkeit zur Erreichung
ihres Zweckes mit ihrer Konstitution nach den
wesentlichen Elementen zugleich in der Gesamtheit
der Apostel das notwendige Organ göttlich ge-
schaffen, so mußte dieses, als mit der Verheißung
unvergänglicher Dauer ausgestattet, nach dem Ab-
leben der Apostel fortbestehen; an ihrer Statt
mußten andere eintreten, die, ausgerüstet mit der
dreifachen Gewalt des Lehr-, Priester- und Hirten-
amtes, Träger des Apostolats waren, wie sie.
Dies geschah, indem der Episkopat an die Stelle
des Apostolats trat und die Gesamtheit der Apostel
in der Gesamtheit der Bischöfe fortdauerte, die
einzelnen Apostel aber in den einzelnen Bischöfen
ihre dem Wesen nach gleichen und ebenbürtigen
Nachfolger erhielten.
Wir sehen nun, wie die Apostel noch bei ihren
Lebzeiten in den von ihnen gestifteten Gemeinden
der Gläubigen untergeordnete Gehilfen zur Vor-
nahme bestimmter Funktionen, namentlich des
Episkopat.
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Taufens, der Abhaltung des Gottesdienstes und
der Besorgung der Armenpflege, bestellten, so daß-
die Verfassungsgestalt der Kirche in der apostoli-
schen Urzeit nach den Organen ihrer Wirksamkeit
eine dreifache Abstufung zeigt, nämlich in den
Aposteln, in den von ihnen zur Aushilfe bestellten
Priestern, auch Bischöfe genannt, und in den
gleichfalls von ihnen bevollmächtigten Diakonen.
Sobald sich jedoch die Zahl und der Umfang der
jungen Christengemeinden erweitert hatten und
demnach die Apostel nicht mehr unmittelbar die
leitende Aussicht führen konnten, so sahen sie sich
genötigt, dieselbe innerhalb eines größeren Bereichs
durch einsichtsvolle und bewährte Männer in ihrem
Namen und mit ihrer Autorität bekleidet ausüben
zu lassen. Unter den in der Heiligen Schrift ge-
nannten Männern, welche mit diesen stellvertreten-
den Funktionen in der Oberleitung betraut waren,
nehmen Timotheus von Ephesus und Titus von
Kreta eine besonders hervorragende Stelle ein,
und an ihnen läßt sich deshalb auch die Stellung
und Bedeutung solcher Apostelgehilfen ge-
nauer charakterisieren. Schon die besondern Be-
nennungen, mit denen die Apostel sie vor den
übrigen von ihnen bestellten Gehilfen auszeichnen,
vor allem auch die Vollmacht, welche denselben
erteilt wird, Episkopen und Diakonen einzusetzen,
stelten es außer Zweifel, daß sie wesentlich eine
andere und höhere Bedeutung haben als diese.
Sie bilden jedoch keineswegs etwa eine Zwischen-
stufe zwischen den Aposteln und den von diesen
oder von ihnen selbst in den einzelnen Gemeinden
bestellten Episkopen, sondern sie erscheinen betraut
mit der vollen apostolischen Gewalt und üben diese
im persönlichen Auftrag der Apostel aus, was
Theodoret die Veranlassung gibt, sie geradezu
Apostel zu nennen. Ihr eigentümlicher Beruf ist
aber zunächst auf die Lebenszeit der Apostel be-
schränkt, insofern sie die ihnen übertragene Gewalt
nur als ihre Stellvertreter, nicht als ihre Nach-
folger in dem apostolischen Amt ausübten.
Für die Apostel stellte sich indes um so dringen-
der, je näher der Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus
dieser Welt heranrückte, die Notwendigkeit ein, sich
Nachfolger einzusetzen, d. h. Männer zu be-
stellen, die nicht wie bisher unter ihrer Oberleitung
in den einzelnen Gemeinden sich als ihre Gehilfen
betätigten oder statt ihrer diese Oberleitung führten,
sondern welche eben das waren, was sie gewesen,
dieselben Befugnisse ausübten wie sie, unter der
gleichen Bevollmächtigung und Sendung wie sie.
Wenn uns nun auch in der Apostelgeschichte
und in den Briefen der Apostel keine direkten
und jede andere Deutung ausschließenden Mit-
teilungen über diese Bestellung gemacht werden,
da ja namentlich bei letzteren eine derartige ge-
schichtliche Berichterstattung außerhalb ihres Zweck-
bereichs lag, so fehlt es doch auch hier keineswegs
an Andeutungen, die mindestens zu der Folgerung
berechtigen, daß das aprioristisch als notwendig
Erscheinende auch tatsächlich zur Ausführung ge-