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nicht gesund bleiben kann, wenn die Gemeinden
nicht gesund sind. Die Aufsicht nimmt ihre Rich-
tung nach drei Seiten. Sie hindert Verstöße
gegen die bestehenden Gesetze; sie bewirkt, daß
den positiven Anforderungen der Gesetze genügt
werde, und sie erzwingt nach freiem Ermessen
der Staatsbehörden ein gewisses Mindestmaß
von wirtschaftlichen Leistungen, wie es im Inter-
esse der Gesamtentwicklung des Staates notwendig
erscheint. Der Staat macht regelmäßig für sich
das Recht geltend, die von der Gemeinde gewählten
obersten Beamten zu bestätigen, damit nur fähige
und der Staatsentwicklung wohlwollend gegen-
überstehende Beamte in der Gemeinde angestellt
werden. Ferner übt der Staat das Recht, die
Finanzgebarung der Gemeinde zu beaussichtigen.
Es steht bei ihm, gewisse Ausgaben zu erzwingen
und gewisse Beschlüsse, namentlich wenn sie den
Grundstock des Gemeindevermögens betreffen, vor
ihrer Ausführung zu genehmigen. Er stellt Grund-
sätze fest über die Anfertigung eines Voranschlages,
die Kassenführung und die Rechnungslegung. Ein
Prinzip läßt sich in den bezüglichen vielfachen
Einzelvorschriften häufig nicht erkennen. Die Ent-
scheidung, wann diese gewissermaßen obervormund-
schaftliche Tätigkeit des Staates einzugreifen habe,
ist meist nach reinen Nützlichkeitsgesichtspunkten
getroffen.
Aus der Herrschaft der Gemeinde über ihre
Mitglieder folgt eine gewisse Verantwortlichkeit
der Gemeinde. Diese Verantwortlichkeit zeigt sich
in zweierlei Hinsicht. Zunächst ist die Gemeinde
verbunden, ihren Mitgliedern das zum Leben
äußerst Notwendige zu gewährleisten, indem sie
im Wege der Armenpflege ihren vermögens-
und erwerbslosen Mitgliedern, namentlich auch
den Waisen, die Mittel zur Fristung des Lebens
gewährt. Diese Pflicht beginnt, sobald die hierfür
in erster Linie verpflichtete Familie versagt und
die Ubung der christlichen Nächstenliebe nicht ge-
nügt. Sodann haftet die Gemeinde allen Dritten
und so auch ihren eigenen Mitgliedern gegenüber
für alle Schäden bei Aufständen, die auf ihrem
Gebiete stattfinden. Diese Haftung hat begriff-
lich nur einzutreten, wenn die Aufstände einen lo-
kalen Charakter haben, und wenn die Gemeinde
daher in der Möglichkeit war, sie zu unterdrücken.
IV. Unter den Aufgaben der Gemeinden
ist eine höhere, transzendentale, und eine endliche,
irdische zu unterscheiden. Die Gemeinde ist ebenso-
wenig wie der Staat in ihrer Gebarung von sitt-
lichen Gesetzen frei und unabhängig, sondern der
göttlichen Weltordnung unterworfen und an deren
Gesetze gebunden. Da die Wirksamkeit der Ge-
meinde tief in die religiösen und sittlichen Inter-
essen der Bürger eingreist, namentlich auf dem
Gebiete der Schule, so ist es von besonderer
Wichtigkeit, daß die Verwaltung der Gemeinden,
deren Bevölkerung christlich ist, in christlichem
Geiste geleitet werde. Sowohl bei Pflege der
geistigen wie der wirtschaftlichen Interessen ihrer
Gemeinde.
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Glieder hat sich die Gemeindeverwaltung von der
so kurzsichtigen Selbstsucht fernzuhalten, die unter
einseitiger Betonung materieller Vorteile die ethi-
schen Anforderungen übersehen zu dürfen glaubt.
Die endlichen, irdischen Aufgaben der Ge-
meinde sind teils natürliche und ursprüngliche,
teils gewillkürte und unter dem Einfluß beson-
derer Verhältnisse ihr zugefallen. Zu den natür-
lichen und ursprünglichen Aufgaben der Gemeinde
gehören zunächst die obrigkeitlichen: die Polizei
und die Rechtspflege. Die Ordnungs= und Sicher-
heitspolizei auf dem Gemeindegebiete und mit
ihr das Recht, für dieses Gebiet allgemein bindende
polizeiliche Vorschriften zu geben, ist als der Kern-
punkt der Gemeindefreiheit zu betrachten. Eine
Beteiligung des Staates, namentlich soweit es sich
um die sog. hohe Polizei handelt, läßt sich nicht
grundsätzlich abweisen; doch muß man die staat-
liche Beschränkung der gemeindlichen Polizeibefug-
nisse in ihrem heutigen Umfange vielfach als zu
weitgehend bezeichnen. Da, wo und insoweit die
Polizei Gemeindesache, ist die Gemeinde in
Deutschland auch zuständig für polizeiliche Straf-
verfügungen wegen Übertretungen gemäß Reichs-
strafprozeßordnung § 453 (vgl. Art. Polizeiver=
gehen).
Auf dem Gebiete der Rechtspflege war in
der mittelalterlichen deutschen Gemeinde sowohl
die eigene Gesetzgebung wie die eigene Recht-
sprechung hoch ausgebildet; im Laufe der Zeit ist
sie in weitem Maße auf den Staat übergegangen.
In Deutschland haben sich auf privatrechtlichem
Gebiet nur spärliche Reste einer Gemeindegerichts-
barkeit erhalten: die Gemeindegerichte von Baden
und Württemberg, welche das Reichsgerichtsver-
fassungsgesetz § 14 bis zu einer Kompetenz von
60 M hat bestehen lassen; ferner auf dem Gebiete
der freiwilligen Gerichtsbarkeit mehrfach das Vor-
mundschafts= und Verlassenschaftswesen, in Baden
auch das Grundbuchwesen und in ganz Deutsch-
land auf Grund des Reichszivilstandsgesetzes vom
6. Febr. 1875 die Führung der Zivilstandsregister
(ogl. Art. Personenstand). Die frühere Gerichts-
barkeit der Gemeinde auf dem Gebiete des Han-
dels ist in Deutschland völlig beseitigt. Dagegen
hat ihre Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Ge-
werbes neuerdings eine immer weitere Ausdehnung
erfahren. § 142 der Reichsgewerbeordnung be-
stimmt: „Ortsstatuten können die ihnen durch das
Gesetz überwiesenen gewerblichen Gegenstände mit
verbindlicher Kraft ordnen. Dieselben werden
nach Anhörung beteiligter Gewerbetreibender auf
Grund eines Gemeindebeschlusses abgefaßt. Sie
bedürfen der Genehmigung der höheren Verwal-
tungsbehörde.“ Die Gewerbeordnung kennt als
solche Gegenstände: die Einführung des Bedürfnis-
nachweises für die Erlaubnis zum Betrieb der
Gastwirtschaft und zum Ausschanke von gei-
stigen Getränken (§ 33) sowie zum Betrieb des
Pfandleihegewerbes (8 34), die Einführung der
Verpflichtung zum Besuche einer Fortbildungs-