Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

447 
schule für gewerbliche Arbeiter unter 18 Jahren 
(§ 120). Weitere Aufgaben dieser Art, und zwar 
auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes, werden den 
Gemeinden übertragen durch die Novelle zur Ge- 
werbeordnung von 1891. Das Reichskranken- 
versicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 fügt hinzu 
die Berechtigung einer bedeutenden Ausdehnung 
des Krankenversicherungszwanges, das Reichsgesetz 
betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 
die Errichtung von ordentlichen Gewerbegerichten, 
das Reichsgesetz vom 6. Juli 1904 die Errichtung 
von Kaufmannsgerichten. In gleicher Weise ist 
den Gemeinden eine Rechtsprechung auf gewerb- 
lichem Gebiet übertragen worden. 
Sodann hat die Gemeinde, wie bereits erwähnt, 
die Aufgabe der öffentlichen Armenpflege, welcher 
sich die öffentliche Krankenpflege (s. Art. Ge- 
sundheitspflege) anschließt. Dieselbe ist grundsätz- 
lich als eine Pflicht der Gemeinde zu betrachten, 
soweit die Leistung der Privattätigkeit nicht ge- 
nügt. Hierhin gehört in erster Linie die Sorge 
für Krankenhäuser der verschiedenen Arten. Eine 
bedeutende Erweiterung ihrer Aufgaben auf diesem 
Gebiete für die unteren Klassen hat die Gemeinde 
in Deutschland erfahren durch das Reichskranken- 
versicherungsgesetz vom 15. Juni 1883;, sie ist die 
Trägerin der Gemeindekrankenversicherung (8 4) 
und die Behörde für Errichtung der Ortskranken- 
kassen geworden (88 16 ff, 23 ff). Der Kranken- 
pflege schließt sich an die Sorge für Lungenheil- 
stätten und ähnliche Sanatorien, endlich für Ferien- 
kolonien im Interesse schwächlicher Schulkinder. 
Der öffentlichen Gesundheitspflege dient 
die Sorge für Volksbäder, für Armen= und Schul- 
ärzte, für Wöchnerinnen usw. 
Auch das Schulwesern erscheint als eine na- 
türliche Aufgabe der Gemeinde, ohne daß jedoch 
die Gemeinde berechtigt wäre, das private Schul- 
wesen auszuschließen. Das Elementarschulwesen 
ist eine Aufgabe aller Gemeinden, namentlich auch 
der Landgemeinden, die Errichtung von Fort- 
bildungsschulen, Fachschulen, Gymnasien und 
andern Schulen dieser Ordnung eine Aufgabe 
größerer Stadtgemeinden. Die modernen Groß- 
städte sind sogar nicht davor zurückgeschreckt, Hoch- 
schulen zu errichten: Handelshochschulen, solche für 
Musik, Hochschulkurse für praktische Medizin. Die 
eigentlichen Universitäten dagegen dürften dauernd 
dem Staate überlassen bleiben, der auch sonst, wo 
die Leistungsfähigkeit der Gemeinde nicht genügt, 
ergänzend eintritt. Den Aufgaben auf dem Ge- 
biete des Schulwesens schließt sich in größeren Ge- 
meinden an die Sorge für wissenschaftliche und 
Kunstinteressen durch Archive, Bibliotheken, Mu- 
seen, auch für Volksbibliotheken und Lesehallen. 
Auf wirtschaftlichem Gebiete sind diejenigen 
Aufgaben hierher zu rechnen, welche als Aufgaben 
der Gesamtheit erscheinen und nur durch diese zu 
erfüllen sind: die Sorge für öffentliche Reinlich- 
keit (Straßenreinigung, Kanalisation, Wasser- 
leitungen, Schlachthäuser); die Sorge für den 
  
Gemeinde. 
  
448 
öffentlichen Verkehr (Beschaffung von Wegen, 
Brücken, Werften. Häfen); die Verhütung allge- 
meiner Kalamitäten (Feuerlösch= und Deichwesen). 
Eine besondere Ausbildung gewinnen in neue- 
ster Zeit die so zialen Aufgaben der Gemeinde. 
Mar spricht von einer kommunalen Sozialpolitik, 
sogar von Kommunalsozialismus; in manchen 
Städten sind aus den Gemeindevertretungen be- 
reits soziale Kommissionen gebildet, um vornehm- 
lich die Bedürfnisse der unteren Volksklassen im 
Auge zu behalten. Sparkassen, Leihhäuser, Volks- 
bureaus zur Rechtsbelehrung und Hilfe in Rechts- 
sachen, Arbeitsnachweisbureaus, Volksküchen in 
Zeiten der Arbeitslosigkeit fallen in den Kreis 
dieser Aufgaben. Bei dem Erlaß von Bauord- 
nungen, der Anlage von Stadterweiterungen, der 
Handhabung der Baupolizei und der Kontrolle 
der Wohnungen wird die Berücksichtigung der 
sozialen Gesichtspunkte verlangt; bei Wohnungs- 
mangel für die unteren Stände wird die Unter- 
stützung gemeinnütziger Bauvereine und der Bau 
von Wohnungen für die eigenen Unterbeamten 
und Arbeiter der Gemeinde erwartet. Wo die 
Gemeinde als Arbeitgeberin auftritt, soll ihre 
sozialpolitische Haltung vorbildlich sein. Sie soll 
die große Wohlfahrtspflegerin für alle ihre Bür- 
ger, namentlich die unteren Klassen, sein. Auf 
industriellem Gebiet drängt die Entwicklung 
dahin, daß die Gemeinde mehr und mehr gewisse 
Einrichtungen in die Hand nehme, welche früher 
der Privatunternehmung überlassen waren, um 
sie nicht nach einseitigen Erwerbsgesichtspunkten, 
sondern nach den Grundsätzen einer wohlwollenden 
Sozialpolitik betreiben zu können; so bei Gas- 
anstalten, Elektrizitätswerken, Straßenbahnen, 
Feuerversicherungsanstalten. 
Neben der Wahrnehmung dieser ihrer eigenen 
Interessen wird die Gemeinde auch vom Staat 
vielfach benutzt für die Besorgung staatlicher 
Aufgaben (Osterreich: im übertragenen Wirkungs- 
kreise), indem der Staat sich der Gemeinde als 
seines Organs bedient, das für ihn und in seinem 
Namen die Aufgaben zu erfüllen hat. So wird 
die Gemeinde benutzt auf dem Gebiet des Militär- 
wesens für die Einquartierung und die Natural- 
versorgung der Truppen, zur Erhebung der staat- 
lichen und kirchlichen Steuern, als Hilfsorgan für 
die staatliche Polizei und Rechtspflege, als Hilfs- 
organ für die allgemeine Landesverwaltung, in 
Baden ausnahmsweise auch zur Führung der 
Grundbücher. So kommt zu dem eigenen Wir- 
kungskreis der Gemeinde ein ihr vom Staat über- 
tragener hinzu. — Zur Erfüllung aller dieser Auf- 
gaben bedarf die Gemeinde sowohl eines Ver- 
mögens (V) als laufender Einnahmen (VI). 
V. Die Gesamtheit des Gemeindevermögens 
zerfällt in drei Arten, welche sowohl hinsichtlich der 
rechtlichen Grundsätze als auch der wirtschaftlichen 
Ausnutzung verschieden sind. 
1. Das öffentliche Vermögen der Gemeinde: 
res quae in publico usu sunt. Hierher gehören
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.