Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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schaften ist ein besonderes, fortdauerndes Interesse, 
welches den Beteiligten ein gemeinschaftliches Ziel 
des Wollens und Handelns, ein durch gemein- 
schaftliche Vorteile genährtes Solidaritätsbewußt- 
sein gibt und damit gleiche Sitten und überein- 
stimmende Lebensanschauungen hervorruft. Im 
Laufe der Entwicklung erlangen viele dieser Eini- 
gungen die Gestalt mehr oder weniger ausgebildeter 
Organismen, die durch gemeinsame Zwecke ge- 
bildet, durch die Geschichte gefestigt, durch Sitte 
und Recht ausgestaltet sind. 
Mit dem Worte Gesellschaft bezeichnet man also 
zunächst sowohl die Vereinigung mehrerer zu einem 
gemeinsamen Zwecke (in Gesellschaft treten) als 
auch eine Gesamtheit bereits vereinigter Personen. 
Gesellschaft heißt ferner auch die Zusammenfassung 
der gesellschaftlichen Gestaltungen, der Inbegriff 
aller innerhalb eines bestimmten Umkreises tat- 
sächlich bestehenden menschlichen Vereinigungen 
und überhaupt gesellschaftlichen Beziehungen. Aus 
diesem menschlichen Gemeinschaftsleben ragt jedoch 
die oberste öffentliche Gewalt, die Obrigkeit, der 
Staat, so sehr empor, hat so sehr selbständige 
Behandlung erfahren, daß vielfach nur das nicht 
unmittelbar staatliche Gemeinschaftsleben, also 
alles, was auf das Zusammenwirken der auf dem 
Gesetz der Arbeitsteilung beruhenden Volksschichten 
sich bezieht, alles, was nicht (unmittelbar) durch 
die Staatsgewalt hervorgebracht wird, was von 
der Tätigkeit des Volkes ausgehen kann, Gesell- 
schaft genannt wird. Umgekehrt wird unter Ge- 
sellschaft mitunter auch, über den Staat hinaus- 
gehend, die menschliche Gesellschaft, die Mensch- 
heit als ein sich geschichtlich entwickelndes, be- 
sondern Gesetzen folgendes Ganze verstanden. 
II. Arten von Gesellschaften. 1. Die be- 
stehenden besondern Gesellschaften lassen sich sachlich 
nach dem Gesichtspunkte des verfolgten Zweckes 
anordnen. Sie können aber auch äußerlich, je 
nach der in ihnen herrschenden größeren oder ge- 
ringeren Ordnung, ins Auge gefaßt werden. Da 
der gemeinsame Zweck durch gemeinsame Tätig- 
keit erreicht werden soll, so muß bei irgend ent- 
wickelteren Gesellschaften (im Unterschiede von 
bloßen Ansätzen zu solchen) ein geordnetes Zu- 
sammenwirken stattfinden; diese Ordnung, diese 
gesellschaftliche Uber= und Unterordnung ist be- 
dingt durch gegenseitige Rechte und Pflichten der 
Mitglieder. Ein einheitlicher Wille muß an der 
Spitze stehen, das Wollen aller, soweit es zur 
Erreichung des Zweckes erforderlich, zusammen- 
fassen; ihm müssen die Glieder der Gesellschaft in 
Beziehung auf die gesellschaftlichen Zwecke unter- 
geordnet sein. Außer jener rechtlichen Gewalt, 
welche die Befugnis hat, die Gesellschaftsglieder 
zum Gesellschaftszweck hinzuleiten, müssen noch 
Anordnungen vorhanden sein, Satzungen über 
  
die Art und Weise, wie die Gesellschaftsglieder in der 
Richtung zum Gesellschaftszwecke tätig sein müssen. 
Neben den voll entwickelten Gesellschaften kann 
es aber auch schwach ausgebildete Vereinigungen, 
Gesellschaft usw. 
548. 
lose Zusammenhänge geben; ja eine gewisse Ge- 
sellung, eine Gleichheit der Willensrichtung liegt 
schon vor, wenn mehrere einzelne einem gemein- 
samen Zwecke zustreben. Der Übergang vom 
bloßen Verkehr (Güter= und Meinungsaustausch) 
zu entwickelten (dauernden) Gesellschaftsformen ist 
ein unmerklicher, der ganze Gegensatz zwischen dem, 
was dem kurzfristigen Verkehr überlassen, und 
dem, wofür durch dauernde Einrichtungen gesorgt 
wird, ist ein rechtsgeschichtlich bedingter. Gewöhn= 
lich ist es der Hinzutritt der Zeit, der Dauer (oder 
großer Ausdehnung), was vorübergehende An- 
näherungen zum Range gesellschaftlicher oder doch 
gesellschaftsähnlicher Gestaltungen erhebt. 
Unter den eine entwickeltere Gesellschaftsform 
anzeigenden Begriffen ist ein wichtiger Begriff der 
des Standes. Der Stand gibt die Stellung 
des einzelnen zur Gesamtheit an, die Stellung, 
welche eine Person in der bürgerlichen Gesellschaft 
einnimmt. Das Wort bezeichnet ferner die Ge- 
samtheit der Personen, welche durch Geburt oder 
Wahl, durch Gleichheit der Beschäftigung, des 
Berufs und der Stellung im Berufe, durch Gleich- 
heit oder Gleichartigkeit des Vermögens, Gleich- 
heit der Anlagen und Neigungen die Förderung 
eines und desselben Zweckes anstreben und infolge 
dieser Gemeinschaft eine gleiche oder ähnliche Stel- 
lung in der bürgerlichen Gesellschaft innehaben. 
Die gemeinschaftliche Lebensaufgabe, die Gleich- 
heit der Beschäftigung erzeugt Gleichheit der In- 
teressen, Gleichförmigkeit der Denkart, der Bil- 
dung und in mancher Beziehung gemeinschaft- 
liche Zustände. 
Der Begriff Stand war eine Zeitlang be- 
schränkt auf jene vier Stände, welche in den sog. 
ständischen Verfassungen ihre Vertretung fanden, 
auch dann noch, als in der Zeit des Absolutismus 
durch Hervortreten von Heerwesen und Beamten- 
tum, durch Erhebung einzelner zu großen Wür- 
den, endlich durch Teilnahme von Gliedern aller 
Stände an der Staatsverwaltung die Stände 
unter sich verschmolzen und der Begriff des Stan- 
des dem des Ranges nähertrat. Jetzt ist Stand 
ein Gattungsbegriff für Beschäftigungen, ja er 
ist ein so weiter, daß auch in das Gebiet der 
Familie einschlagende menschliche Zustände damit 
bezeichnet werden: Zivilstand, Personenstand, 
Ehestand, Standeswahl. Am häufigsten aller- 
dings versteht man unter Stand die Verbindung 
der Berufsgenossen zur Wahrung ihrer besondern 
Interessen. 
In den seltensten Fällen sehen wir im Stande 
ein bloßes Nebeneinander; hie und da begnügt 
man sich mit Wahrung der Interessen im ein- 
  
zelnen Falle, sehr oft führt das Standesbewußt- 
sein zu fester Organisation. Die Summe der 
Vorschriften über Rechte und Pflichten der Mit- 
glieder heißt Standesrecht. Auch mit Observanz 
oder Herkommen wird gerne jenes Gewohnheits- 
recht bezeichnet, welches sich im Kreise der Ge- 
nossen eines bestimmten Standes oder Berufes
	        
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