Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wurden. Spiellust und erhöhte Chancen reizten zum 
Durchspielen der sämtlichen Klassen. In Deutsch- 
land selbst fand die älteste Klassenlotterie im Jahre 
1610 in Hamburg statt. 
Gemeinrechtlich galt in Deutschland der Lotterie- 
vertrag nach seiner Natur als erlaubter Vertrag; 
viel hat dazu der Umstand beigetragen, daß der 
Lotterievertrag von den Staaten als Erwerbsquelle 
benutzt wurde oder noch wird; auch die milde An- 
schauung der Kanonisten über das Spiel war hier- 
auf von Einfluß. Aus finanziellen Rücksichten 
verbot man Privatlotterien; die Lotterie wurde 
als Steuerquelle zum Regal; sie gab insbesondere 
auch ein Mittel, um Ausländer zu besteuern. Aus 
ihrer Eigenschaft als Staatsmonopol erklärt sich 
auch, daß meist das Spielen in ausländischen 
Lotterien verboten wurde. Mochte auch die Un- 
solidität der Privatlotterien und der gute, der All- 
gemeinheit günstige finanzielle Zweck der Staats- 
lotterie mit zur Entwicklung des Regals geführt 
haben, so gab dies doch keinen innern Grund, 
Privatlotterien ganz zu verbieten; deshalb trat 
an Stelle des Verbots das Erfordernis der staat- 
lichen Erlaubnis für dieselben, wobei der Staat 
durch hohe Gebühren sein finanzielles Interesse 
wahren konnte. In Deutschland scheint sich eine 
Vereinheitlichung des Lotteriewesens, veranlaßt 
durch die Ausbreitung der preußischen Staats- 
lotterie, anbahnen zu wollen. Infolge des preu- 
ßfiischen Lotteriegesetzes vom 29. Aug. 1904, das 
sehr scharfe Maßregeln gegen den Vertrieb aus- 
wärtiger, d. i. nichtpreußischer Lose in Preußen 
vorsieht und nicht nur den Veranstalter und Kol- 
lekteur, sondern auch — eine in der Lotteriestraf- 
gesetzgebung bisher nicht gekannte Strenge — den 
Spieler unter Strafe stellt, haben sich eine Reihe 
von Staaten, die bisher mit ihren Lotterien zum 
großen Teile unter der Hand in Preußen gewirkt 
hatten, zu einer Verständigung mit diesem Staate 
gezwungen gesehen. So lassen die beiden Mecklen- 
burg, Lübeck, die thüringischen Staaten und Hessen 
unter Aufgabe ihrer bisherigen Lotterien in Zu- 
kunft nur noch die preußische Staatslotterie gegen 
Zahlung einer bestimmten Entschädigung in ihren 
Gebieten zu. Sachsen, Hamburg und Braun- 
schweig haben bisher ihre Selbständigkeit auf diesem 
Gebiete gerettet; doch wird ihr demnächstiger An- 
schluß an Preußen vielfach prophezeit. Der un- 
befriedigende Zustand, der sich trotz aller polizei- 
lichen Bestimmungen aus dem Abfluß bedeutender 
Mittel aus den nicht im Besitze einer Staatslotterie 
befindlichen süddeutschen Staaten nach Preußen, 
Hamburg usw. ergibt, hat auch bereits den Plan 
einer Reichslotterie auftauchen lassen. 
Die Gründe, welche zugunsten der Lotterien 
angeführt zu werden pflegen, insbesondere: die 
natürliche Spiellust des Menschen werde durch 
Lotterien möglichst nützlich befriedigt, sie verschaffe 
zu öffentlichen Zwecken Geld, das man auf anderem 
Wege nicht erhalten würde, gehen fehl; denn die 
Lotterien erziehen förmlich zur Spielsucht, und 
Glücks= oder Hazardspiele. 
  
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auch für Wohltätigkeitszwecke sollte man nicht die 
Leidenschaft des Spielens wachrufen. Für die 
Staatslotterien gibt es überhaupt keinen einiger- 
maßen stichhaltigen Grund; um wirkliche Bedürf- 
nisse zu befriedigen, besitzt der Staat hinreichende 
Mittel, die Untertanen zum gerechten Tragen der 
öffentlichen Lasten heranzuziehen; es bedarf hierzu 
nicht der Ausbeutung der Spielwut der Bevölke- 
rung. Zudem kontrastiert die Staatslotterie doch 
zu erheblich mit der Fürsorge für das wahre Wohl 
der Untertanen, wie sie sich in der Aufhebung der 
früheren, weit gewinnbringenderen Spielhölken in 
den deutschen Bädern kundgegeben hat. Auch der 
hohe Preis der Lose bei der Klassenlotterie ver- 
ringert ihre Schädlichkeit nur wenig; denn wie 
bei den Aktien, so wird auch hier der ärmeren 
Klasse der gefährliche Boden des Zufalls durch 
Teilung, Zusammenspielen eines Loses, Losver- 
mielen, Ausgabe von Anteilscheinen auf Lose und 
dergleichen mehr oder weniger schwindelhafte Spe- 
kulationen zugänglich. Die Lotterie hält vom 
Sparen ab; sie setzt an die Stelle beharrlichen 
Fleißes aufgeregte Gewinnsucht; es kann demnach 
nicht leicht eine verderblichere Art der Aufbringung 
von Staatseinnahmen gedacht werden. Finanzielle, 
dringliche Bedürfnisse können sie entschuldigen, 
aber nicht rechtfertigen. Mit vollem Rechte hat 
daher namentlich Frankreich alle Lotterien, mit 
Ausnahme der öffentlichen Lotterie für wohltätige 
und gemeinnützige Zwecke, seit 21. Mai 1836 
verboten. 
Verderblicher noch als die Lotterie und wahr- 
haft gemeingefährlich ist das Lotto. In Genua 
erfunden (um das Jahr 1620), ist es erst spät 
(1763) nach Deutschland gekommen. Von 90 
Zahlen werden 5 gezogen; man setzt auf 1, 2 
bis 5 Zahlen; kommen dieselben bei der Ziehung 
heraus, so wird der Einsatz sehr hoch zurückver- 
gütet. Gerade durch Zulassung des kleinsten Ein- 
satzes (oft von 3 Kreuzern an) ist das Lotto für 
die ärmsten Kreise der Bevölkerung so verhängnis- 
voll geworden; eine Menge von Traumbüchern, 
Wahrsagereien und dergleichen Gaukeleien ver- 
danken ihr unheilvolles Dasein lediglich dem Lotto. 
Das ganze Leben des Volkes wird von der Spiel- 
wut aufgeregt; um ungewissen Gewinnes willen 
opfert man die wenige Habe. Seit der Aufhebung 
des Lottos in Bayern (1861) ist dasselbe aus 
Deutschland ausgemerzt. Österreich hat leider 
aus finanziellen Gründen diesen Schritt noch 
nicht getan, wenn auch gerade in letzter Zeit 
eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen gemacht 
wurden; Erwähnung möge hier finden die Schaf- 
fung eines durch Verlosung aufzuteilenden Prä- 
mienfonds für Postsparkasseneinlagen, die Prä- 
mienverlosung des Scherlschen Sparsystems und 
der Sieghartsche Vorschlag einer Zinsenlotterie, 
welche nach der Aufhebung des Zahlenlottos als 
Übergangsmaßregel empfohlen wird, um eine Um- 
wertung des Spieltriebes zum Spartriebe herbei- 
führen zu können. 
  
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