Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

3 Eltern, Elterngewalt. 4 
unterstehen, also hauptsächlich auf die häusliche 
Ordnung und die Fragen der Erziehung. Während 
aber die beiden andern Seiten der Pietät, Ehr- 
furcht und Liebe, für das ganze Leben die Kinder 
verpflichten, hört die Pflicht des Gehorsams in 
gewissen Fällen auf; z. B. dann, wenn der elter- 
liche Befehl seine Befugnis überschreitet, wenn es 
sich um die Standeswahl handelt. Denn die 
Eltern haben nicht das Recht, über das zukünftige 
Leben des Kindes zu verfügen. Im Falle sie aber 
durch Verheiratung des Kindes oder seinen Eintritt 
in einen religiösen Orden in schwere Not kommen 
würden, haben die Eltern das Recht, den Eintritt 
des Kindes in den von ihm gewählten Stand auf 
einige Zeit zu verschieben. Ist keine Notlage der 
Eltern vorhanden, dann dürfen mündige Kinder 
gegen den Willen, ja selbst ohne das Wissen der 
Eltern den Ordensberuf ergreifen. Unmündige 
Kinder können ohne Wissen und Willen der Eltern 
keine Verpflichtungen, selbst nicht durch Gelübde, 
auf sich nehmen. Die Pflicht des Gehorsams hört 
auch auf, wenn ein Kind aus der Familie aus- 
scheidet durch Eintritt in den Priester-, Ordens- 
oder Ehestand, und endlich durch Selbständig- 
machung. Die Pflicht der Pietät erstreckt sich auch 
auf alle, die Elternstelle vertreten, wie Lehrer und 
Erzieher, Vormünder und überhaupt gewissermaßen 
alle Vorgesetzten. 
II. Auf Grund der sittlichen Anschauungen 
wurde das gegenseitige Verhältnis von Eltern und 
Kindern von jeher auch rechtlich geregelt. Das 
römische Recht verlangte vom Kind den völligen 
Familiendienst, in dem es aufzugehen hatte. Sogar 
vom selbständigen Erwerb war das Kind ausge- 
schlossen. Die väterliche Gewalt (patria potestas) 
herrschte über das Kind, solange der Vater lebte. 
Nach dem germanischen Recht war das Kind nur 
so lange unter der väterlichen Gewalt, als es in 
der Familie lebte. Es war in erster Linie hier ein 
Schutz= und Vertretungsverhältnis. Das neuere 
französische Recht, das gegen die Übermacht der 
väterlichen Gewalt ankämpfte, unterstellte das Kind 
nur bis zur Volljährigkeit unter die väterliche Ge- 
walt. Mit Erlangung der Volljährigkeit sollte das 
Kind von der väterlichen Gewalt befreit sein. 
Außerdem entwickelte das französische Recht den 
Begriff der elterlichen Gewalt gegenüber der 
väterlichen. Träger der elterlichen Gewalt ist dann 
1) während der Lebzeiten des Vaters Vater und 
Mutter zugleich; 2) wenn der Vater stirbt oder 
seine Gewalt erlischt, die Mutter allein. Diese 
Auffassung gibt der Mutter eine höhere Stellung 
in der Familie, indem die Mutter dadurch nicht 
bloß eine moralische, sondern auch eine rechtliche 
Macht hat neben dem Vater. 
Das B. G.B. für das Deutsche Reich hat diese 
Anschauung aufgenommen. Danach untersteht das 
Kind, solange es minderjährig ist, der elterlichen 
Gewalt (§ 1626). Diese Gewalt besteht in dem 
Recht und der Pflicht, für die Person und das 
Vermögen des Kindes zu sorgen (§ 1627). Die 
  
Ausübung der elterlichen Gewalt liegt in erster 
Linie dem Vater ob. Solange er dazu imstande 
ist, hat die Mutter ihn darin lediglich zu unter- 
stützen. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen 
beiden Eltern geht die Meinung des Vaters vor 
(5 1634). Erst wenn das Recht des Vaters ent- 
fällt, tritt die Mutter ein (8 1684). Allerdings 
kann die elterliche Gewalt der Mutter stark be- 
schränkt werden durch Aufstellung eines Beistan- 
des, wenn der Vater es so angeordnet hat, oder 
wenn das Vormundschaftsgericht es für nötig er- 
achtet (§ 1687). 
Nach § 1631 begreift die Sorge um die Person 
des Kindes das Recht und die Pflicht in sich, das 
Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen 
Aufenthaltsort zu bestimmen. Auch die nötigen 
Zuchtmittel darf der Vater kraft des Erziehungs- 
rechts anwenden. Durch Art. 134 des Einf.= 
Ges. ist allerdings die religiöse Erziehung 
der Kinder davon ausgenommen und den Lan- 
desgesetzen überlassen worden. Wenn nun die 
Landesgesetze die elterliche Gewalt gerade in diesem 
Punkte beschränken, so ist eigentlich dadurch das 
Recht der Eltern, das der § 1631 ihnen zuerkennt, 
im wichtigsten Stück aufgehoben. Die religiöse 
Erziehung gehört so zum Wesen der Erziehung 
überhaupt, daß diese ohne jene nicht vollständig 
durchgeführt werden kann. Somit werden die 
Eltern, die im Gewissen zur religiösen Erziehung 
ihrer Kinder schon durch das natürliche Sitten- 
gesetz verpflichtet sind, durch solche beschränkenden 
Landesgesetze in die ärgste Zwangslage versetzt. 
In den deutschen Bundesstaaten herrscht nun die 
größte Mannigfaltigkeit in den Landesgesetzen be- 
treffs der religiösen Erziehung der Kinder, so daß 
es zu weit führte, alle die verschiedenen Gesetze 
hier aufzuzählen. Sie stammen zumeist aus der 
ersten Hälfte des 19. Jahrh. und stimmen darin 
überein, „daß sie im Geist der „Aufklärung“ ihrer 
Zeit für die Angehörigen der drei christlichen Re- 
ligionsparteien gerechte Grundsätze über die Kon- 
fession der Kinder aus gemischten Ehen aufzu- 
stellen suchten“. Treffend sagt Schmidt: „Weder 
dem Reich noch den einzelnen Bundesstaaten steht 
das Recht zu, gesetzliche Vorschriften über die reli- 
giöse Erziehung oder gar über konfessionelle Tei- 
lung der Kinder zu erlassen. Wohl aber hat der 
paritätische Staat die Aufgabe, die Eltern bezüg- 
lich der religiösen Erziehung ihrer Kinder un- 
behelligt zu lassen und unberechtigte Eingriffe von 
seiten Dritter abzuwehren. Von diesem Stand- 
punkt aus kann behauptet werden, daß die be- 
stehenden Landesgesetze über die Konfession der 
Kinder mehr oder minder auf der falschen Theorie 
des Staatskirchentums beruhen.“ (gl. über die 
einzelnen Gesetze Schmidt, Die Konfession der 
Kinder nach den Landesrechten im Deutschen 
Reich, 1890.) 
Selbständig dürfen Kinder ihre Religion wählen 
in Preußen und Württemberg nach vollendetem 
14., in Baden nach dem 16., in Bayern nach dem
	        
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