Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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der Justizsignatur — die Gnadensignatur wird 
nicht mehr erwähnt — als dem „höchsten Gerichts- 
hof“ die Entscheidung über die querela nulli- 
tatis, über Kompetenzstreitigkeiten, über Ableh- 
nung von Richtern, über Streitigkeiten betr. Ver- 
einigung und Avokation der Prozeßsachen und 
über Gesuche um Zulassung einer neuen Appel- 
lation mit Devolutivaffekt. Obwohl für die ganze 
Kirche zuständig, übte sie ihre Tätigkeit nur für 
die Gebiete des Kirchenstaates aus, so daß diese 
im Jahre 1870 völlig erlosch. Nunmehr ist die 
Signatura unter der jetzt auch formellen Auf- 
hebung der Gnadensignatur mit ähnlicher Kom- 
petenz wieder aufgerichtet worden. Sie ist der 
oberste Gerichtshof der Kurie, eine Art Kassations- 
gerichtshof zur Kontrolle und Ergänzung der 
Tätigkeit der Rota. Sie hat zu entscheiden 1) über 
Ablehnung eines Rotarichters wegen Befangen- 
heit; 2) über Verletzung des Amtsgeheimnisses 
oder Schädigung der Parteien durch nichtige oder 
ungerechte Amtshandlungen eines Notarichters; 
3) über das außerordentliche Rechtsmittel der 
duerela nullitatis gegen ein rechtskräftiges Rota- 
urteil und 4) über den Antrag auf restitutio inm 
integrum gleichfalls gegen eine rechtskräftig ge- 
wordene Entscheidung der Rota. — Die Organi- 
sation der Signatura ist ganz ähnlich jener der 
römischen Kongregationen: 6 Kardinäle, von 
denen einer die Präfektur innehat, 1 Sekretär, 
6 Konsultoren und 2 Offiziale (Sap. Cons II 
3; Lex propria tit. II; Index a. a. O. 131). 
VI. Die Amter (Offücia). Die dritte Stelle 
der Kurialbehörden nehmen die Officia ein, zu 
denen die ältesten Amter des päpstlichen Hofes, 
die Apostolische Kanzlei und Kammer, aber auch 
das zwar jüngere, indes überaus einflußreiche 
Staatssekretariat gehören. 
1. Das bedeutendste Offizium war früher die 
bis auf die ältesten Zeiten zurückgehende Can- 
cellaria Apostolica, einstmals die wich- 
tigste Behörde der Kurie von außerordentlichem 
Einfluß. Nachdem durch die Loslösung der Datarie 
und des Brevensekretariates sowie durch Bildung 
eigner Sekretariate für die einzelnen Kongre- 
gationen ihr Geschäftskreis mehr und mehr ein- 
geengt wurde, sank auch ihre Bedeutung, bis ihr 
schließlich nur noch die Erinnerung an den alten 
Glanz geblieben ist. Auch durch die Neuorgani- 
sation Pius' X. hat sie ihre alte Stellung nicht 
mehr zurückerhalten. Sie hat nur noch die Auf- 
gabe, alle ihr vom Papste oder der Konsistorial= 
kongregation überwiesenen päpstlichen Bullen zu 
expedieren, durch welche die sog. Konsistorial- 
benefizien (Bistümer und einige Abteien) ver- 
liehen, die Errichtung von Bistümern und Ka- 
piteln verfügt und andere wichtige Angelegen- 
heiten in Form von Konstitutionen geregelt wer- 
den. Hierfür gibt es nunmehr nur eine Expedi- 
tionsform: die per viam cancellariae nach 
eignen, noch zu gebenden Regeln. Die außer- 
ordentlichen Expeditionsformen per viam secre- 
Kurie. 
  
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tam, per viam de camera und per viam de 
curia (so noch die Konstitution Sapienti Con- 
silio) sind aufgehoben. Die Formulare für die 
Kollations-und Erektionsbullen sowie die Kanzlei- 
regeln sollen einer baldigen Reform unterzogen wer- 
den, um so den alten, schwerfälligen Kanzleistil zeit- 
gemäß umzugestalten. Hierauf weist schon die An- 
ordnung hin, daß nunmehr bei allen päpstlichen 
Schreiben an Stelle der teilweise bisher noch üb- 
lichen Zählung der Jahre ab incarnatione die 
bürgerliche Datierung zur Anwendung kommen 
soll. Auch für die apostolischen Breven, welche 
das Staatssekretariat besorgt, ist eine Reform an- 
geordnet. — An der Spitze der Kanzlei steht ein 
Kardinal als Kanzler, der zugleich von Amts 
wegen im Konsistorium das Amt des Notars be- 
kleidet. Ihm zur Seite stehen als sein Stell- 
vertreter der regens cancellariae, das Kollegium 
der 7 protonotarün apostolici participantes de 
mumero zur Firmierung der Bullen (bisher wur- 
den hierzu die abbreviatores de parco maiori 
et minori verwandt) und 7 Offiziale (Sap. 
Cons. III 1; Norm. pec. c. IX, art. 1; 
Index a. a. O. 132). 
2. Die Dataria Apostolica war bis 
1908 die große, universelle Gnadenbehörde pro 
koro externo. Das Hauptfeld ihrer Tätigkeit 
war die Verleihung der dem Heiligen Stuhle re- 
servierten niederen Benefizien (in Deutschland die 
erste Kapitelsdignität und die in den ungeraden 
Monaten erledigten Kanonikate), sodann die Er- 
teilung von Ehe= und Weihedispensen sowie die 
Einwilligung zur Veräußerung von Kirchengut. 
Durch die Pianische Reform ist jetzt aber ihre 
Kompetenz auf die Verleihung der reservierten, 
nichtkonsistorialen Benefizien beschränkt. Sie hat 
also die Eigenschaften der Bewerber zu prüfen, er- 
teilt Dispensen bei etwaigen Mängeln, entwirft 
und expediert die Kollationsbriefe, welche die 
Unterschrift des Kardinaldatars, bei dessen Ver- 
hinderung des Kardinal-Staatssekretärs und die 
Gegenzeichnung des amtsältesten Offizialen tragen 
müssen, und bestimmt schließlich die Lasten und 
Auflagen, welche jene Benefizien zu tragen haben. 
— Infolge der Einschränkung des Geschäfts- 
kreises ist auch das Personal der Datarie bedeutend 
verringert worden. Es besteht nunmehr neben dem 
Kardinaldatar aus dem Subdatar, einem Prä- 
laten als Präfekten, dessen Substituten und 
8 weiteren Offizialen, zu denen noch 4 Konsul- 
toren kommen (Sap. Cons. III 2; Norm. pec. 
. IX, art. 2; Index a. a. O. 132 s). 
3. Die Camera Apostolica hat, wie 
bereits erwähnt, ihre früher ausgedehnten juris- 
diktionellen Befugnisse als oberste Fiskal= und 
Kammerbehörde sowie als Hofgericht für die 
Kurialen seit 1870 so gut wie vollständig ein- 
gebüßt. Auch Pius X. räumte ihr keine weiter- 
gehenden Rechte ein. Sie dient nur noch zur Ver- 
waltung der weltlichen Güter und Rechte des Hei- 
ligen Stuhles. Von praktischer Bedeutung ist dies
	        
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