Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

651 
disciplinam et administrationem spectantis) 
oder um reine Gnadensachen (res gratiae). Dem- 
entsprechend ist das strenge Prozeßverfahren, 
das Disziplinar= und verwaltungsge- 
richtliche Verfahren und das Verfahren 
in Gnadensachen zu unterscheiden. 
1. Dasstrenge Prozeßverfahren. Da 
die Rota ein wirklicher Gerichtshof ist, kommen 
die Regeln des ordentlichen kanonischen Prozesses 
mit seinen charakteristischen Merkmalen zur An- 
wendung: der festen Terminfolge (ad concordan- 
dum de dubüis = litis contestatio, ad defen- 
dendum, adrespondendum), dem Artikulations- 
Kurie. 
652 
vorschriften in analoger Weise zur Anwendung 
(Lex propria tit. I, cap. 3 und cap. 1, can. 11 
und 12). 
Das Verfahren vor der Signatura ist ein 
Mmöglichst einfaches und abgekürztes, doch gelten 
die Zitation der Gegenpartei und Anberaumung 
eines Termins zur Darlegung der Gründe als 
wesentliche Erfordernisse. Handelt es sich um 
Strafprozesse gegen Rotarichter, ist die Form des 
kanonischen Kriminalprozesses anzuwenden (Lex 
Propria tit. II, cap. 2). 
Eingehende Vorschriften regeln die Prozeß- 
kosten. Der Gebrauch eines Stempelpapiers ist 
verfahren, d. h. der Auflösung der einzelnen vorgeschrieben. Auch kann der Auditor ponens 
Streitfragen in articuli, und zwar in der Form die vorherige Sicherstellung der Unkosten in Höhe 
von dubia, der Zäsur des Prozesses durch die von 100 bis 500 Lire verlangen. Für die Ge- 
conclusio in causa in ein getrenntes Beweis= bühren der Advokaten im einzelnen ist eine be- 
und Urteilsverfahren. Des weiteren ist das Prinzip sondere Honorarordnung aufgestellt. Durch Be- 
der Schriftlichkeit und Mittelbarkeit maßgebend, willigung des Armenrechts können die Gerichts- 
d. h. die Richter fällen das Urteil auf Grund der wie Anwaltskosten ganz oder teilweise erlassen 
Prozeßakten, nicht auf Grund mündlicher Ver= werden (Lex propria, Appendix). 
handlung der Parteien oder deren Vertreter vor 2. Im Gegensatz zu dem Verfahren vor der 
Gericht. Doch ist es jetzt in gewissen Fällen auch Rota und Signatura soll das Disziplinar- 
zulässig, einen besondern Termin für die münd-- und Verwaltungsverfahren vor den 
liche Disputation der Vertreter vor dem Richter- 
kollegium anzuberaumen. Beleidigungen, Ungebühr 
oder Ungehorsam hierbei werden mit Wortent- 
ziehung, bei den Advokaten mit Suspension oder 
Amtsentsetzung geahndet. Die bisher üblichen 
mündlichen Informationen der Richter sind da- 
gegen fortgefallen. Ein Anwaltszwang besteht 
nicht. Die Parteien können vielmehr selbst ihre 
Sache vertreten und sich hierbei ihrer Muttersprache 
bedienen. Der Parteibetrieb ist gewahrt, doch 
werden die Schriftstücke ex ofticio zugestellt. Der 
Kläger kann in jedem Stadium des Prozesses zu- 
rücktreten, jedoch muß dies absolut und bedingungs- 
los erfolgen und die Gegenpartei sowie das Gericht 
damit einverstanden sein. Sämtliche Akten stehen 
den Parteien längere Zeit vor der Verhandlung 
zur Einsicht offen. — Das Urteil wird in ge- 
heimer Sitzung auf Grund schriftlich abgefaßter, 
mit Gründen versehener Voten nach absoluter 
Stimmenmehrheit gefällt. Ohne neuen Antrag der 
obsiegenden Partei und nochmaligen Gerichts- 
beschluß ist es alsdann binnen zehn, höchstens 
dreißig Tagen zu publizieren; es muß schriftlich 
abgefaßt und bei Strafe der Nichtigkeit mit den 
Urteilsgründen versehen sein. — Bestätigt die 
Rota ein früheres Urteil, so wird es damit rechts- 
kräftig, so daß jede weitere Appellation ausge- 
schlossen ist und nur noch die außerordentlichen 
Rechtsmittel der querela nullitatis oder der 
restitutio in integrum innerhalb dreier Monate 
bei der Signatura zulässig sind. Lautet dagegen 
das Rota-Urteil abweichend, so kann noch Appel- 
lation an den nächstfolgenden Rotaturnus binnen 
zehn Tagen nach Zustellung des Urteils eingelegt 
werden. — Für das Kriminalverfahren kommen 
die allgemeinen Normen des kanonischen Straf- 
prozesses und die eben erwähnten besondern Rota- 
Kongregationen sine forma et strepitu, ohne 
die strengen Formen des Prozesses vor sich gehen. 
Infolgedessen fallen die litis contestatio, Zeugen- 
vernehmung, Schriftsätze der Verteidiger fort. Die 
Parteien müssen dagegen stets gehört und ihre 
Beweisstücke geprüft werden. Auch können sie ge- 
druckte Schriftsätze bis zu einem bestimmten Um- 
fang einreichen. In den Angelegenheiten, die in 
der Plenarsitzung zu entscheiden sind, haben die 
Beamten der Kongregation einen offiziellen Schrift- 
satz (olium officiale) mit einer kurzen Darstellung 
des Falles, einer Zusammenstellung der beige- 
brachten Urkunden (summarium) und der Auf- 
zählung der dubia auszuarbeiten und den Kar- 
dinälen zehn Tage vor der Sitzung zuzustellen. 
Bei besonders wichtigen oder schwierigen Fällen 
sind noch die vota der Konsultoren beizufügen. — 
Die Entscheidungen erfolgen durch Mehr- 
heitsbeschluß und sind schriftlich abzufassen und 
zu publizieren. Eine Appellation gegen die- 
selben ist nicht möglich. Doch kann der unter- 
legenen Partei auf einen innerhalb der nächsten 
zehn Tage erfolgenden Antrag das beneficium 
novae audientiae gewahrt werden. Die Ge- 
richtskosten hat jede Partei für sich zu tragen. 
Eine Wiedererstattung der Gebühren und Un- 
kosten findet nicht statt (Norm. pec. c. III, art. 2 
und c. IV, § 2/4, 9/11). 
3. Die Bewilligung von Gesuchen 
um Erteilung von Gnaden, Dispensen, 
Fakultäten, Indulten erfolgt entweder mündlich 
(hier nur für das forum conscientiae) oder 
schriftlich in Form einer Urkunde, nach dem etwa 
interessierte Dritte gehört worden sind. Will je- 
mand einem Dritten gegenüber die erlangten 
Gnaden geltend machen, so hat er den gesetzlichen 
Beweis zu erbringen, d. h. die Bewilligungs-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.