Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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des Produkts repräsentiert also nur die Summe 
bereits existierender Werte. Das Interesse der 
Landwirtschaft muß darum im Gegensatz zur be- 
stehenden Politik das Ausschlaggebende und Ent- 
scheidende sein. Aus dieser Auffassung ergibt sich 
die soziale Gliederung des royaume agri- 
cole. Als produktiv gilt nur, wer wirtschaftliche, 
d. h. neue materielle Werte schafft; die andern 
Klassen sind steril. Näherhin werden drei Klassen 
unterschieden: 
a)aDie produktive Klasse; sie bebaut den Grund 
und Boden; dazu hat sie die nötigen Vorschüsse 
zu leisten; sie muß an die Grundbesitzer die Renten 
bezahlen. 
b) Ebendiese Grundbesitzer (von Turgot classe 
disponible genannt) bilden die zweite Klasse. Sie 
empfängt den produit net aus der Hand der 
produktiven Klasse, die ihre Vorschüsse und den 
Ersatz der Abnutzung ihres stehenden Kapitals 
zurückbehält. 
e) Die unproduktive („sterile“) Klasse um- 
schließt alle, die andere als landwirtschaftliche 
Arbeiten und Dienste leisten. Zu diesen 3 Klassen 
gehören nur die Unternehmer und Besitzer; die 
besitzlosen Arbeiter bilden keine selbständige Klasse. 
Turgot nennt als zweite Klasse die classe stipen- 
dice (d. h. diejenigen, die Rohstoffe verarbeiten, 
die Industriellen und Handwerker) und als dritte 
Klasse die erwähnte classe disponible (d. h. 
Grundbesitzer, Rentiers und Beamte). 
Auf dem Gebiet des Handels entspricht die 
freie Konkurrenz dem ordre naturel. Dadurch 
wird nämlich erzielt, daß die Warenpreise niedrig 
stehen und daß insbesondere die Gewinne der 
Zwischenhändler, deren Tätigkeit da, wo sie un- 
nötig wäre, als unnatürlich, wo sie nicht entbehrt 
werden kann, als notwendiges Übel erscheint, nur 
eine geringe Höhe erreichen. Denn eigentlich sollte 
sich der Güterverkehr zwischen dem ersten Verkäufer 
und dem Konsumenten vollziehen und jener sollte 
den Preis erhalten, den dieser bezahlt. Zwischen 
beide drängt sich aber der Zwischenhändler, der 
dort möglichst wenig bezahlen, hier möglichst viel 
herausschlagen will. Allzu großer Gewinn der 
Kaufleute ist stets ein Zeichen, daß der Handel 
auf Kosten anderer Wirtschaftszweige bevorzugt 
wird; eine ähnliche Ursache liegt dann zugrunde, 
wenn der Kaufmann großen Gewinn angeblich 
aus dem internationalen Verkehr zieht; bei näherer 
Prüfung wird man finden, daß in seinem eignen 
Land Handelsprivilegien vorhanden sind und daß 
darin die Quelle seiner Reichtümer zu suchen ist. 
Die Lehre von der Handelsbilanz beruht auf irr- 
tümlichen Voraussetzungen. 
Große Wichtigkeit im Gefüge des ganzen Sy- 
stems kommt der Preislehre und Preispolitik 
zu. Wie nicht anders zu erwarten, steht auch hier 
das landwirtschaftliche Interesse im Mittelpunkt. 
Was die Blüte des nationalen Wohlstands garan- 
tiert, sind, kurz gesagt, dauernd hohe Preise für 
landwirtschaftliche Produkte. Als Begründung 
Physiokraten. 
  
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wird angeführt, daß der Bauer so in die Lage 
versetzt sei, seinen Betrieb zweckentsprechend ein- 
zurichten, einen hohen produit net zu erzielen und 
an den Grundbesitzer abzuliefern; auch Industrie 
und arbeitende Klasse haben davon ihren Nutzen. 
Die für die Zinslehre maßgebenden Grund- 
sätze ergeben und begreifen sich unschwer, wenn 
man im Auge behält, daß die natürliche Basis für 
den Zins der Reinertrag des Bodens ist. Der 
Zins soll sich nämlich nur daraus erklären, daß 
man dafür ein Reinertrag bringendes Grundstück 
erwerben kann. Besteht daher zwischen Reinertrag 
und Zins eine wesentliche Verschiedenheit zu un- 
gunsten des ersteren, so ist das ein unnatürlicher 
und ungesunder Zustand. 
3. Für die Besteuerung ergibt sich aus der 
eigentümlichen Auffassung von der allein produk- 
tiven landwirtschaftlichen Tätigkeit eine wichtige 
praktische Konsequenz. Erzeugt nur der Boden 
produit net, so wird auch die Steuerlast gerechter- 
weise darauf gelegt. Freilich scheint so die acker- 
baufreundliche Tendenz des Systems ins Gegenteil 
umzuschlagen; allein dies ist angeblich nur Schein; 
denn schon bisher hat der Grundbesitz tatsächlich 
die ganze Steuerlast getragen, und zwar diese noch 
vermehrt um die Unkosten, die durch die indirekten 
zu einem Teil von rücksichtslosen Steuerpächtern 
eingezogenen Steuern verursacht worden waren; 
die Steuern auf Löhne. Waren, die Vermögens- 
steuer der Pächter, alle diese Abgaben seien auf 
den Grundbesitzer abgewälzt worden. Die fortan 
allein noch zu erhebende und den Bodenreinertrag 
erfassende Steuer soll so gestaltet werden, daß sie 
dem Nationaleinkommen proportional ist. 
4. Charakteristische Anschauungen enthält schließ- 
lich die Bevölkerungslehre. Das niedere 
Volk (peuple bas) wird zwar nicht als eigne und 
eigentliche Klasse, immerhin aber doch vom Ge- 
sichtspunkt des nationalen Wohlstands aus als 
unentbehrlich angesehen wegen der Arbeit, die es 
zu leisten hat, und wegen der Konsumtion. Ques- 
nay spricht sich unwillig über die Ansicht aus, daß 
das niedrige Volk in Armut und Unwissenheit zu 
erhalten sei; er weiß aber wirksame sozialpolitische 
Mittel, es zu heben, nicht anzugeben. Die Be- 
völkerung hat die Tendenz, den durch das natür- 
liche Bedürfnis gewährten Spielraum zu über- 
schreiten. Die einzig richtige Bevölkerungspflege 
richtet darum ihr Absehen auf Hebung des natio- 
nalen Wohlstands; dieser aber kann nur durch 
Erhöhung des Reinertrags der Landwirtschaft ge- 
steigert werden, während die künstliche Förderung 
von Handel und Gewerbe die Landbevölkerung in 
die Städte trieb. Um jedoch einer zu starken Volks- 
vermehrung vorzubeugen, ist das Heiratsalter zu 
regeln; hat sich die Gefahr bereits eingestellt, so 
empfiehlt sich als geeignetste Abhilfe die Koloni- 
sation in fremden, wenig bevölkerten Ländern. 
Was endlich den Lohn betrifft, so pflegt er dem 
jeweiligen Unterhaltsbedürfnis zu entsprechen; er 
gravitiert nach der Preishöhe der Nahrungsmittel.
	        
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