Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Bürger zur Sittlichkeit abgeleitet wurde, so werden 
hier aus der Gleichsetzung der drei Stände mit 
den drei von Plato unterschiedenen Seelenkräften, 
der Vernunft, dem zornmütigen und dem begehr- 
lichen Seelenteil, die besondern ethischen Aufgaben 
jedes einzelnen Stands gefolgert: die Weisheit 
für die Herrscher, die Tapferkeit für die Krieger, 
die besonnene Mäßigung für die Gewerbetreiden- 
den, während die Gerechtigkeit im Staat darin 
besteht, daß jeder der drei Stände in seinen 
Schranken bleibt, innerhalb dieser aber treu das 
Seine leistet. 
Ist die politische Einrichtung des Platoni- 
schen Staats durch seine soziale Gliederung im 
allgemeinen bedingt, so ergibt sich umgekehrt die 
nähere Einrichtung der gesellschaftlichen 
Ordnung aus den politischen Aufgaben der 
einzelnen Stände. Für den dritten Stand, der 
eine dem ganzen Staat gewidmete selbständige 
politische Aufgabe nicht hat, gibt er daher auch 
in sozialer Beziehung keine besondere Reglung. 
Einerseits betrachtet er es als ein Zeichen des 
Verfalls, wenn die wirtschaftende Klasse in ein 
Beisassen= und Dienstverhältnis hinabgedrückt 
wird (547 C); anderseits sollen Güter= und 
Frauengemeinschaft und alle andern auffallenden 
Einrichtungen des Platonischen Staatsideals für 
diesen Stand nicht gelten. Wenn auch vielleicht 
aus den Prinzipien Platos gefolgert werden kann, 
daß er konsequenterweise eine möglichste Verall- 
gemeinerung des Kommunismus erstreben müßte, 
so hat er diese Folgerung doch nicht gezogen (auch 
nicht 462 C; Pöhlmanns Versuch, aus dieser und 
andern Stellen das Gegenteil zu beweisen, kann 
nicht als gelungen bezeichnet werden). Und da 
dieser dritte Stand die Hauptmasse der Bevölkerung 
ausmacht, so würde sich für die Mehrzahl der 
Bevölkerung durch Einführung der Platonischen 
Staatsverfassung ein merklicher Wechsel in ihren 
Lebensverhältnissen nicht ergeben haben. Über- 
haupt gibt Plato hinsichtlich des dritten Stands 
nur wenige allgemeine Bestimmungen. Die Staats- 
lenker sollen dafür sorgen, daß derselbe weder in 
Armut hinabsinkt noch durch Reichtum übermütig 
wird (421 E). Hervorragend Tüchtige sollen sie 
in den Stand der Herrschenden einführen, wobei 
man freeilich nicht sieht, wie diese Vorschrift im 
Rahmen der Platonischen Staatseinrichtungen ihre 
Ausführung finden kann. Auch einige Andeutungen 
über die allen Bürgern notwendige sittliche Er- 
ziehung finden sich. Im ganzen aber ist ihm der 
dritte Stand und seine nicht dem ganzen Staat, 
sondern bestimmten Geschäften gewidmete Tätig- 
keit gleichgültig. Näher besprochen hat er weder 
seine Gliederung noch die für ihn nötige Er- 
ziehung, für seine Hebung nichts getan. 
Um so genauer sind die Bestimmunger hinsicht- 
lich der Erziehung und der Lebensordnung der 
herrschenden Stände. Zu diesen gehören die Krieger 
und die Regierungsbeamten. Richter und ärzte 
sind im Platonischen Staat überflüssig, da dort 
Plato. 
  
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kein Unrecht geschieht und die Gesundheit durch 
eine geordnete Lebensweise so lange erhalten wird, 
als das Leben für die Gesamtheit nützlich ist. Die 
herrschende Klasse des Staats nun soll durch Er- 
ziehung und Lebensordnung dahin gebracht wer- 
den, daß sie ganz in ihrer sozialen Aufgabe auf- 
geht, und daß jede Selbstsucht ihr mit der Wurzel 
ausgerissen wird. Freilich macht hier die rück- 
sichtslose Verfolgung des Sozialprinzips Plato 
einseitig. Er übersieht gänzlich die Förderung 
auch des allgemeinen Wohls, welche in der be- 
rechtigten Pflege der Individualität sowie der dem 
Individuum näher stehenden Verbände der Familie 
und der Gemeinde gegeben ist. Darum will er 
sofort aus einer Menge möglichst gleichartiger In- 
dividuen ohne alle Zwischenglieder den möglichst 
gleichartig gehaltenen Staat herstellen. So begreift 
sich die in manchem unser Gefühl stark verletzende 
Urt, mit der in Erziehung und Lebensordnung der 
herrschenden Stände das Individuum in die un- 
bedingteste Abhängigkeit vom Staat gebracht wird, 
mag darüber auch selbst die Menschenwürde ge- 
legentlich zugrunde gehen. 
Schon die Erzeugung des Menschen wird für 
die herrschenden Klassen ganz unter die Aufsicht 
des Staats gestellt. Dieser bestimmt die Anzahl 
der zu erzeugenden Kinder, das Alter, innerhalb 
dessen die Kindererzeugung gestattet ist, die Zeit, 
zu welcher, und die Paare, von welchen dieselbe 
zu geschehen hat. Überzählige oder von ungeeig- 
neten Paaren stammende Sprößlinge werden vor 
der Geburt oder durch Aussetzung nach der Geburt 
getötet (460 D, 461 C), wofür der Dialog „Ti- 
mäus“ (19 A; vgl. schon Rep. 415 0) still- 
schweigend ein Hinabstoßen in den dritten Stand 
einsetzt. Die aufzuziehenden Kinder, von denen 
keines seine Eltern kennen darf, um alle älteren. 
Leute als seine Eltern zu ehren, werden wohl- 
eingerichteten Staatskrippen überwiesen, aus denen 
sie dann in die gemeinschaftlichen Unterrichts- 
anstalten übergehen. Hier werden sie zu harmo- 
nischer Ausbildung des Körpers und des Geistes 
in der Gymnastik und in den musischen Künsten 
unterwiesen. Auch die Jungfrauen nehmen an all 
diesen Ubungen teil; denn im Platonischen Staat, 
der die Aufgabe der Frau in der Familie nicht 
kennt, weil er die Familie selbst zerstört, ist das 
Weib nur ein schwächeres Wesen als der Mann, 
sonst zu gleichen Aufgaben wie er bestimmt. Streng 
ist darauf zu achten, daß in Dichtung und Musik 
alles Aufregende und Verweichlichende, alles Un- 
würdigefernbleibe; nur ethisch nutzbare Mythen und 
nur Tonweisen, die zur Tapferkeit anfeuern, sind 
zu gestatten, jede Neuerung ist fernzuhalten. Der 
Unterricht in der Mathematik macht den Schluß 
für diejenigen, welche sich wegen ihrer Charakter- 
beschaffenheit zu Kriegern eignen; ein neuer, 
allgemeinerer Kurs in den Wissenschaften und 
besonders Einführung in die Dialektik und Ideen- 
lehre tritt für die künftigen Herrscher hinzu. Um 
sich völlig den gemeinschaftlichen Aufgaben des
	        
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