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sittlichen Entwicklung eines Volks. Je weiter es
in dieser Hinsicht fortgeschritten ist, desto mehr
wird die Einsicht in die Staatsnotwendigkeiten
den Widerwillen des Volks zurückdrängen. Das
zweite Bedenken wird zum größten Teil beseitigt
durch die Wirksamkeit der Parlamente in den
konstitutionellen Staaten, die eine Uberspannung
der Steuersätze hintan halten können. Wichtig
dagegen ist der dritte Einwand. Die Defrau-
dationsmöglichkeiten sind besonders bei den Per-
sonalsteuern vorhanden, in viel höherem Grad
als bei den Realsteuern. Es ist deshalb Aufgabe
der Steuerpraxis, nach Möglichkeit den Hinter-
ziehungsversuchen entgegenzuarbeiten durch Kon-
trollmaßregeln, Steuerstrafen us. Weit mehr
als diese Mittel aber wirkt das Erstarken der
Steuermoral, des staatsbürgerlichen Gewissens.
Von den modernen Personalsteuern sind wichtig
die Einkommen= und Vermögenssteuer. Die
älteren Personalsteuern hatten eine rohe Gestalt
und unsozialen Charakter. Es sind dies die Kopf-
steuer und verwandte Steuerformen.
Die Kopfsteuer. Hier wird eine Unterschei-
dung nach Einkommensgrößen nicht gemacht. Jede
Einzelperson ist mit dem gleichen Betrag steuer-
pflichtig. Doch ist dieses Prinzip nicht allgemein.
Es kommt vor, daß Kinder bis zu einem gewissen
Alter, Greise und Frauen sowie einzelne Privile-
gierte steuerfrei sind. Auf niederer Wirtschaftsstufe
werden wegen der großen Gleichförmigkeit der
Besitz= und Einkommensverhältnisse die Ungerech-
tigkeiten dieser Steuerform nicht so sehr empfunden;
bei stärkerer wirtschaftlicher Differenzierung aber
wird diese rohe Besteuerungsform bald drückend
und unzureichend.
In früheren Zeiten hatten die meisten Länder
solche Kopfsteuern, die entweder regelmäßig er-
hoben wurden oder als außerordentliche Abgaben
in Zeiten besonderer Not (Kriegssteuern). Als
Kriegssteuer erhielt sich die Kopfsteuer vereinzelt
bis ins 19. Jahrh. Als ordentliche Steuer aber
verschwand sie seit dem 16. und 17. Jahrh. in
den meisten europäischen Staaten. Dagegen be-
stand sie in Rußland weiter. Sie wurde dort auf-
erlegt nach „Revisionsseelen“. Nach Maßgabe der
bei den einzelnen Volkszählungen ermittelten Ein-
wohnerzahl wurden die Steuerkontingente für die
einzelnen Gemeinden festgesetzt. Die Gemeinden
selbst hatten dann dieses Kontingent auf die Ein-
wohner zu verteilen nach dem Herkommen und
nach der Größe des genutzten Gemeindelandes.
Nachdem die Kopfsteuer zuletzt nur noch eine
Besteuerung des Bauernstandes gewesen war,
wurde sie 1885 für das europäische Rußland
aufgehoben.
In der Gegenwart bestehen noch Kopfsteuern
im Orient und in einzelnen Kolonien. So erhebt
Deutschland eine Kopfsteuer von der männlichen
Bevölkerung (mit Ausnahme der Kinder) auf Sa-
moa, Frankreich eine solche in Madagaskar, Da-
homey u. dgl.
Steuern.
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Der Form nach mit den Kopfsteuern verwandt
sind die Matrikularbeiträge und ähnliche Umlagen,
die nach der Kopfzahl der Bevölkerung festgesetzt
werden. So auch die Matrikularbeiträge des
Deutschen Reichs. Doch besteht diese Verwandt-
schaft lediglich der Form, nicht der Sache nach.
Die Summen, welche die Einzelstaaten in Form
von Matrikularbeiträgen an das Reich abführen
müssen, werden zwar nach Maßgabe der Bevölke-
rungszahl auferlegt, aber sie werden nicht von den
einzelnen Untertanen erhoben, sondern aus den
Staatseinkünften der einzelnen Teilstaaten ent-
nommen. Diese Staatseinkünfte setzen sich dann
zusammen aus Erwerbseinkünften, Gebühren,
Steuern. Unter den sämtlichen Steuern der Einzel-
staaten aber ist keine einzige Kopfsteuer. Darum
ist die vielfach verbreitete Meinung, die Matrikular-
beiträge hätten einen kopfsteuerartigen Charakter,
vollkommen falsch.
Dieroheren Formen der personalen Vermögens-
steuer. In den früheren Jahrhunderten fanden sich
vielfach Steuern, welche den Charakter von Per-
sonalsteuern trugen und das Vermögen treffen
sollten. Allerdings in primitiver Weise. So die
Herdsteuer. Das Vermögen wurde nicht ge-
schätzt; es wurde vielmehr aus der Tatsache des
Besitzes einer Herdstelle auf das damit verbundene
Haus und das sonstige Vermögen geschlossen.
Unterschiede wurden vielfach überhaupt nicht ge-
macht; der reiche Mann zahlte ebensoviel wie der
Arme. Herdsteuer, Rauchpfennig, Rauchpfund,
Heimstättengeld wurde die Steuer genannt. Sie
war leicht durchführbar, aber sehr unsozial, ja
drückend, sobald ein einigermaßen bedeutsamer
Betrag herausgewirtschaftet werden sollte. Auch
jene Steuern, die da anknüpften an Hufe und
Haus und Viehbestand, sind hierher zu zählen
(Hufenschoß, Giebelschoß, Viehsteuer).
Einen wichtigeren Fortschritt stellen demgegen-
über dar die abgestuften Personalsteuern. Statt
der einheitlichen Steuersätze pro Kopf tritt jetzt
eine Staffelung ein nach verschiedenen Gesichts-
punkten, die wenigstens die gröbsten Ungerechtig-
keiten der Kopfsteuer beseitigen soll. Es ist die
Hinüberbildung von der Kopfsteuer zur Klassen-
steuer. Bei der letzteren wird eine Klassifikation
der ganzen Bevölkerung nach wirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten vorgenommen. Ein bekanntes Bei-
spiel dieser Art ist die preußische Klassensteuer von
1820/21. Sie bezweckte die Besteuerung des
platten Landes. Es wurden vier Hauptstufen mit
je drei Unterabteilungen gebildet. Die Klassen-
sätze betrugen: 1. Klasse 144, 96, 48 Taler;
2. Klasse 24, 18, 12 Taler; 3. Klasse 8, 6,
4 Taler; 4. Klasse 3, 2, 1 1½ Taler. Im Jahr
1851 wurde dann die Klassensteuer auf die
Einkommen bis 3000 Jl beschränkt, die Sätze
wurden verfeinert, die höheren Einkommen (über
3000 M) aber der klassifizierten Einkommen-
steuer unterstellt (ogl. d. Art. Einkommensteuer
Bd I. Sp. 1495 ff.