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eine willkürliche Einwirkung auf die Außenwelt.
Die Einwirkung muß auch einen, wenn auch noch
so geringen Erfolg haben, und dieser Erfolg, mag
er auch zeitlich und räumlich von der Handlung
selbst abliegen, muß mit ihr in einem Zusammen-
hang von Ursache und Wirkung (Kausalzusammen-
hang) stehen. Im Sinn des Strafgesetzbuchs steht
jedoch auch eine Unterlassung einer durch die Pflicht
(allgemeine Bürgerpflicht, Gebote im Interesse all-
gemeiner Sicherheit, Berufspflichten) gebotenen
Handlung einer strafbaren Handlung gleich. Nur
eine physische Person kann nach unserem Recht eine
strafbare Handlung begehen, nur sie kann han-
deln, d. h. eine gewollte Tätigkeit entwickeln.
Zwar kann nach unserem Privatrecht auch eine
Körperschaft im privatrechtlichen Rechtsverkehr eine
Willenstätigkeit entwickeln; das ist aber nur er-
möglicht durch eine vom Recht vorgenommene
Fiktion, die im Strafrecht keine Anwendung
finden kann.
In dem Begriff der Handlung ist mithin schon
der Begriff der Zurechnung enthalten. Zu-
rechnen heißt nämlich ein Geschehenes auf einen
Willen als Ursache zurückführen. Um strafbar
zu sein, muß der Wille ein schuldhafter sein. Die
Zurechnungsfähigkeit eines Menschen ist demnach
die Fähigkeit desselben dafür, daß ihm ein Tun
als schuldhaftes angerechnet werden kann. Ein
schuldhafter Wille setzt aber in erster Linie Willens-
freiheit voraus. Spricht man dem Menschen
Willensfreiheit ab, so muß jedes Strafrecht auf-
hören. Auf diesem Standpunkt steht auch das
Strafgesetzbuch; als entscheidende Voraussetzung
für die Zurechnungsfähigkeit stellt es die „freie
Willensbestimmung“ hin. Um eine an sich straf-
bare Handlung wegen Mangels dieser freien
Willensbestimmung zu einer straflosen zu machen,
muß diese freie Willensbestimmung völlig „aus-
geschlossen“ sein. Der bloßen Beeinträchtigung
der Willensfreiheit, der „verminderten Zurech-
nungsfähigkeit“ wird durchaus nicht diese Wirkung
beigemessen; sie kann nur für den Richter die Ver-
anlassung sein, sie bei der Strafzumessung als
strafmildernd in Betracht zu ziehen. Indessen hat
das Strafgesetzbuch nicht jeden wie immer ge-
arteten Mangel zugelassen, um die Willensfreiheit
für ausgeschlossen anzusehen, sondern nur einen
solchen, der auf Bewußtlosigkeit oder krankhafter
Störung der Geistestätigkeit beruht (§ 51). Diese
beiden psychischen Zustände sind nicht bloß bei-
spielsweise aufgeführt, sondern erschöpfen die Fälle
der eigentlichen Unzurechnungsfähigkeit. Danach
ist das sog. „moralische Irresein“ (moral insa-
nity) nicht als Ausschließungsgrund zu betrachten,
und ebensowenig die Unfähigkeit, einem Anreiz
zu widerstehen, es sei denn, daß beides aus krank-
hafter Störung der Geistestätigkeit zu erklären
ist. Durch den Gebrauch des Ausdrucks „freie
Willensbestimmung“ hat das Strafgesetzbuch dem
„allgemein menschlichen Urteil Ausdruck“ geben
wollen, daß der gereifte und geistig gesunde Mensch
Strafrecht.
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ausreichende Willenskraft habe, um die Antriebe
zu strasbaren Handlungen niederzuhalten und dem
allgemeinen Rechtsbewußtsein gemäß zu handeln,
sowie daß hierauf das Recht des Staats beruhe,
den Verbrecher zu strafen. Ob diese Reife bzw.
geistige Gesundheit im einzelnen Fall bei dem
Verbrecher vorhanden war, ist eine reine Tatfrage,
die jedesmal besonders zu beantworten ist. Auch
bei einem Kind kann die Reife sich schon sehr früh
entwickelt haben. Deshalb haben mehrere Straf-
rechtssysteme (das französische, preußische, bayrische)
auch keine feste Altersgrenze für den Beginn der
strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit gezogen. An-
ders geht unser Strafgesetzbuch vor. Im Anschluß
an das römische Recht, welches die strafrechtliche
Zurechnungsfähigkeit, die „Strafmündigkeit“", mit
dem siebten Lebensjahr eintreten ließ, erklärt das
Strafgesetzbuch (§ 55), daß derjenige, welcher bei
Begehung einer Handlung das zwölfte Lebensjahr
noch nicht vollendet habe, wegen derselben straf-
rechtlich nicht verfolgt werden könne. Wohlgemerkt
behält die Tat auch eines Kindes unter 12 Jahren,
wenn im übrigen die erforderlichen Merkmale zu-
treffen, den Charakter einer Straftat; allein aus
kriminalpolitischen Gründen soll von ihrer „Ver-
folgung“ Abstand genommen werden; wir haben
es also lediglich mit einer prozessualen Bestimmung
zu tun. Das hat seine weittragenden Konsequenzen
für diejenigen, welche an der Straftat eines Straf-
unmündigen „teilnehmen“; sie sind ebenso zu be-
strafen, als wenn ein vollständig Strafmündiger
die Tat begangen habe. Ein Strafunmündiger
unter zwölf Jahren kann also nicht bestraft wer-
den; es können indessen nach Feststellung der
Handlung in Gemähßheit landesgesetzlicher Vor-
schriften gegen ihn Maßregeln getroffen werden,
welche zur Besserung und Beausfsichtigung geeignet
sind (z. B. Preuß. Gesetz über die Fürsorge-
erziehung Minderjähriger vom 2. Juli 1900 nebst
Ausführungsbestimmungen vom 18. Dez. 1900).
Aber auch nach vollendetem zwölften Lebensjahr
hält unser Strafgesetzbuch den Menschen noch nicht
für vollständig strafmündig. Steht der Täter im
Alter zwischen 12 und 18 Jahren („jugendlicher"“
Verbrecher), so ist er zwar verfolgbar, er kann
aber nur bestraft werden, wenn noch besonders
sestgestellt wird, daß er bei Begehung der Tat die
zur Erkenninis ihrer Strafbarkeit erforderliche
Einsicht besaß; andernfalls ist er freizusprechen
und im Urteil zu bestimmen, ob er seiner Familie
überwiesen oder in eine Erziehungs= oder Besse-
rungsanstalt gebracht werden soll. Erst nach voll-
endetem 18. Lebensjahr gilt der Mensch im Zweifel
als vollkommen zurechnungsfähig. In zutreffender
Weise behandelt das Strafgesetzbuch den Taub-
stummen, der ja der Möglichkeit beraubt ist, seine
Verstandeskräfte in dem Maß zu entwickeln, wie
normale Menschen, entsprechend den Personen
zwischen 12 und 18 Jahren.
Aber auch eine Handlung eines vollständig zu-
rechnungsfähigen Menschen, die sämtliche objektiven