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Recht und vom weltlichen Gericht beurteilt wurden.
Schon früh hatten sich daneben rein weltliche
Zehnten gebildet; sie stützten sich auf verschiedene
öffentliche und privatrechtliche Titel und standen
hauptsächlich dem König oder dem Grundherrn zu:
eine Nachbildung römischer Verhältnisse. Durch
die Säkularisation wurden im 16. Jahrh. viele
geistliche Zehnten in weltliche umgewandelt, ebenso
wieder im 19. Jahrh., nachdem der Westfälische
Friede der Kirche ihren Besitzstand garantiert
hatte. Der entscheidende Schritt zur völligen Be-
seitigung des Zehnts geschah zur Zeit der fran-
zösischen Revolution (1789) und um die Mitte
des 19. Jahrh. Dem Beispiel Frankreichs und
Deutschlands folgten die andern Länder.
2. Arten. Von der ganzen Klasse des kirch-
lichen Zehnten ist die nona oder decima, die
durch die Fürsten den bischöflichen Kirchen vielfach
von einzelnen Grundstücken zugesprochen wurde
(= ein Teil der grundherrlichen Rente), scharf zu
unterscheiden. Einstens viel genannt und viel ver-
handelt wurden die päpstlichen Zehnten, die zur
finanziellen Unterstützung der römischen Kirche von
auswärts flossen, indem von den auswärtigen Kir-
chen von Zeit zu Zeit ein Zehnt erhoben wurde.
Durch die Synode von Konstanz wurde das Recht
eingeengt. — Die Leistungen des kirchlichen Zehn-
ten beschränkten sich anfänglich auf die Feldfrüchte;
allmählich erstreckten sie sich auf alle Einkünfte
(Synode von Pavia 850). Das kanonische Zehnt-
recht (und entsprechend das weltliche) unterscheidet
näherhin ein geistliches oder ein weltliches Zehnt-
recht, je nachdem es einer Kirche oder kirchlichen
Person als solcher zustand oder aber einem
Laien. Der Zehnt wurde entweder vom perfön-
lichen Erwerb oder von den Erzeugnissen frucht-
tragender Sachen erhoben. Der dingliche Zehnt
wurde vom Ertrag eines Grundstücks oder von
Tieren entrichtet. Ersterer (Feldzehnt genannt)
wurde teils von allen Ländereien teils von Neu-
bruchland (Neubruchzehnt) erhoben. Von den ver-
schiedenen Fruchtarten zählte man die Halmfrüchte
samt Wein und Ol zum großen Zehnten, die
übrigen zum kleinen (Sägmüller). Daneben finden
sich noch weitere Unterscheidungen, wie zwischen
Naturalzehnt (eigentlicher Zehnt) und Zehntgilt
(uneigentlicher Zehnt) u. a.
3. Rechtliches. Der Genuß des neuen Ein-
kommens stand zuerst ganz den Pfarrkirchen zu.
Seit dem 10. Jahrh. weisen die Synoden auch
dem Bischof einen Anteil zu, so eine Synode des
11. Jahrh. den 4. Teil. Aus dem kanonischen
Recht seien folgende Sätze angeführt (nach Säg-
müller): Die Rechtsvermutung steht für das volle
Zehntrecht des Pfarrers; jede Befreiung ist zu
beweisen. Die Verpflichtung zur Leistung des
Prädialzehnten haftet als Reallast auf dem zehnt-
pflichtigen Grundstück, die jedesmalige Leistung
auf dem jeweiligen Ertrag desselben. Der Zehnt
zur Pfarrkirche ist von jedem Grundeigentümer
oder Nutznießer in der Pfarrei zu entrichten. Eine
Zehnt.
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allgemeine Einschränkung deutet der Satz an:
clericus clericum non decimat. Zehntstreitig-
keiten der Pfründen und Stiftungen gehören vor
die geistlichen Gerichte.
4. Aufhebung. Wie bereits angedeutet
wurde, ist der Kirchenzehnt während der fran-
zösischen Revolution (1789) zusammen mit dem
Lehenswesen und den Klassenprivilegien beseitigt
worden. In der Mitte des 19. Jahrh. folgte
Deutschland. 1866 wurde in Italien das gesamte
Kirchenvermögen eingezogen und die Staatskasse
verpflichtet, für die Geistlichen zu sorgen. Nach
französischem Vorbild wurde der Kirchenzehnt nach
und nach fast überall aufgehoben bzw. abgelöst.
Im 19. Jahrh. nämlich wurde anerkannt, daß der
Zehnt zivilrechtlicher Natur sei, womit gegeben
war, daß der Zehnt nicht ohne Entschädigung
einfach aufgehoben werden konnte, sondern abge-
löst werden mußte. Die Zehntablösung stellte sich
in Nordwest= und Süddeutschland dar als ein
wichtiger Teil der sog. Reallastenablösung. Zur
Zeit der Naturalwirtschaft war der Zehnt eine
natürliche und vorzügliche Einrichtung; lange
wurde der Boden in gleicher Weise angebaut, und
so machte sich die Abgabe nicht drückend fühlbar.
Aber ungerecht und drückend mußte sich die Last
doch schon von Anfang an dort geltend machen,
wo ein qualitativ sehr verschiedener Boden zur
Verfügung stand; denn als Abgabe vom Roh-
ertrag belastet der Zehnt naturgemäß das schlechtere
Land unverhältnismäßig stark. Die üblen Folgen
mußten sich immer deutlicher namentlich in Süd-
westdeutschland zeigen, „in dem Gebiet mit der
großen physikalischen Mannigfaltigkeit, der dichten
Bevölkerung, der Freiteilbarkeit und dem früh-
zeitigen Bau von Handelsgewächsen“ (Fuchs).
Schwer mußte besonders der Weinzehnt auf dem
Weinbau lasten; die weinbauende Bevölkerung
war genötigt, ihr Bestreben einseitig darauf zu
richten, daß sie — statt eine möglichst gute Quali-
tät — eine möglichst große Quantität erzielte.
Der Neubruchzehnt vollends hinderte direkt den
landwirtschaftlichen Fortschritt. Kurz, mit der
schwindenden und verschwindenden Naturalwirt-
chaft sind auch die Vorteile des Zehnten ver-
schwunden, um so mehr aber seine Nachteile, die
er mit sich führen kann, hervorgetreten. Ist von
diesem Gesichtspunkt aus die Zurückdrängung und
Beseitigung der alten Einrichtung nicht zu be-
dauern, so muß desto entschiedener gefordert wer-
den, daß die vom Staat übernommenen Pflichten
gewissenhaft erfüllt werden. Der Staat wird sich
um so mehr bewogen sühlen müssen, diesen Ver-
pflichtungen nachzukommen und insbesondere den
Geistlichen ein standesgemäßes Leben zu ermög-
lichen, wenn er bedenkt, welchen Dienst der Geist-
liche dem Staat dadurch leistet, daß dieser im Volk
die großen, das Gemeinwesen stützenden und er-
haltenden Kräfte und Ideen pflegt und fördert.
Literatur. Zachariä, Aufhebung, Ablösung
u. Umwandlung des 3.38 (1831); Birnbaum, Die