— 6 —
e) Allerdings ist zuzugeben, daß neben den angeführten
Ubereinstimmungen zwischen beiden Einrichtungen die rechtliche
Natur beider Körperschaften doch ein sehr verschiedenes Gepräge
hat. Es ist wohl zu beachten, daß dem ehemaligen Reichstage
ein Reichsoberhaupt, ein Träger der Staatsgewalt, im Kaiser
gegenüberstand, während der Bundesrat die Spitze der Reichs-
regierung ist, eine Verschiedenheit, die aus der verschiedenen
Entwicklung der staatlichen Verhältnisse zu erklären ist. Denn
das alte deutsche Reich war, wie auch Frankreich, ursprünglich
tatsächlich und rechtlich eine Monarchie, ein Einheitsstaat, wenn
dieser staatsrechtliche Charakter sich auch immer mehr durch die
Territorialgewalten verwischte, während heute ein Bundesstaat
besteht. Damals war demnach der Kaiser das höchste Reichs-
organ, das durch den Reichstag beschränkt wurde, 15) der in
dieser Beziehung einige Ahnlichkeit mit dem heutigen Reichstage
aufweist. Daß bei dem Kaiser die Souveränität des Reiches
lag, zeigt sich vor allem in der ihm zustehenden Sanktion der
Gesetze nach Festsetzung ihres Inhalts durch den Reichstag.
In dieser anders gearteten Stellung des Kaisers liegt der
große Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Reiche,
weswegen auch der Bundesrat eine andere Rechtsnatur hat
und haben muß, als der altdeutsche Reichstag.
2. Schulze 10) nennt den Bundesrat eine „Fortsetzung des
ehemaligen Bundestages“, und mit einigem Recht. Wenn auch
das neue Reich nicht Nachfolger des Deutschen Bundes im
Rechtssinne ist, 7) so wurden doch die Gedanken und Einrich-
tungen der früheren Zeit von neuem verwertet. Mit der Um-
wandlung des früheren Staatenbundes in einen Bundesstaat
ist allerdings aus dem Organ einer völkerrechtlichen Zusammen-
fassung mehrerer unabhängiger und souveräner Staaten das
Organ eines einheitlichen, selbständigen staatsrechtlichen Ver-
bandes geworden,) was einen Unterschied in seiner Stellung
— —. — — — —
15) Vgl. Reincke: Der alte Reichstag und der neue Bundesrat, S. 9,
11, 95 f.
10) Schulze, Lehrb. II, S. 47.
17) Dies wurde von Zachariä und Zöpfl behauptet und hierauf
fußend, verfochten sie die Ansprüche standesherrlicher Familien.
18) Hierin liegt der große Fortschritt, den der Bundesrat gegenüber