— 86 —
Bundesrat ohne den Reichstag, letzterer aber nicht ohne den
Bundesrat berufen werden darf.12) Diese Vorschrift. hat zu
der Unterscheidung von ordentlichen und außerordentlichen
Sitzungsperioden des Bundesrats Anlaß gegeben. 13) Erstere
liegen dann vor, wenn sie mit den ordentlichen Sitzungsperioden
des Reichstags zeitlich zusammenfallen. Der zweite Begrif
umfaßt die übrigen Fälle.
Ferner muß der Bundesrat berufen werden, wenn sie von
einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. 1) Nach dieser
steht er nebst Jellinek auf dem oben vertretenen Standpunkt, daß eine
zeitliche Beschränkung unannehmbar sei, wenn er auch für die Praxis eine
Cäsur der Sessionen für richtig hält. Dagegen nimmt auch er als äußerste
zeitliche Grenze den Eintritt eines neuen Reichstags an. Man kann jedoch
ebenso wie beim Bundesrate auch beim Reichstage eine hierbei voraus-
gesetzte Neugestaltung zwar anerkennen, muß aber bezweifeln, ob eine
solche die von dem Schriftsteller angegebene Wirkung hat. Die von ihm
angeführten Gründe haben gewiß eine große praktische und politische Be-
deutung, staatsrechtlich sind sie jedoch unerheblich. Müller-Meiningen in
Hirths Ann. 1904, S. 306 und Frormann im Arch. f. öff. Recht, Bd. 14,
S. 513 wollen die Zeitgrenze je nach den Umständen bemessen. Als prak-
tisches Beweismittel für die zeitliche Beschränkung der Vorlagen des
Bundesrats auf eine Session des Reichstags wird vielfach die Wieder-
vorlage der Gesetzentwürfe über das Postwesen und das Posttaxwesen in
der 2. Reichstagssession 1871 angeführt. Seydel, Komm., S. 118 und
Dambitsch, S. 177 bestreiten aber hier die opinio necessitatis seitens der
Regierungen. So sprechen die Motive (Anl. der 1. Leg.-Per. Sess. 2, Bd. 4,
S. 16) auch nur davon, daß die Vorlage angemessen erschien, und zwar
mit Rücksicht auf einen möglicherweise im Reichstage eingetretenen Stim-
mungsumschwung. Dagegen lassen sich viele andere Fälle anführen, wo
sogar noch nach Eröffnung eines neuen Reichstags Gesetzentwürfe des
früheren Reichstages vom Bundesrate erledigt wurden. (Vgl. die vom
Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieberding im Reichstag am 14. April
1904, Sten. Ber., S. 2082 f. angeführten Fälle.)
12) Der Grund dafür ist in der Notwendigkeit für den Bundesrat
begründet, über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von
diesem gefaßten Beschlüsse zu verhandeln und zu beschließen.
13) Vgl. Laband, Staatsr. I, S. 277, Reichsstaatsr., S. 69.
14) Art. 14 Reichsverfass. — Doa die elsaß-lothringischen Stimmen
jetzt mitgezählt werden, so müssen 21 Stimmen sich vereinigen, um eine
Berufung des Bundesrates durchzusetzen. Dies bedeutet, daß die Berufung
des Bundesrates von den Mittelstaaten gemeinsam auch gegen den Willen
Preußens mit Erfolg beantragt werden kann, da sie zusammen über
24 Stimmen verfügen. Anderseits haben diese Macht die 17 Kleinstaaten
nebst Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig.