sein. Dort hätten die Heereskavalleriekorps 3 und 4, die
bei der sechsten und fünften Armee festgekeilt waren, ein wei-
tes Feld zu erfolgreicher Tätigkeit gefunden.
War die Oberste Heeresleitung in der Lage, diese Ver-
stärkungen dem deutschen Einfallsheere zu sichern? Unbe-
dingt. Sie hätte am 25. August 1914 nur die Verstärkun=
gen für das Ostheer dem linken Flügel des Westheeres an-
statt der zweiten und dritten Armee zu entnehmen brauchen.
Dann wäre die sechste und siebente Armee auf zusammen
sechs Armeekorp# gegen sieben französische Korpo, wohl
ebensoviele Reservedivisionen sowie die Alpentruppen zu-
sammengeschmolzen und man hätte sich im Elsaß auf die
Abwehr an der Breuschtalfront, Feste Kaiser Wilhelms II.
(Mutzig)—Straßburg, die eigens dazu im Frieden mit Auf-
wand enormer Mittel hergerichtet worden war, vielleicht
beschränken müssen.
Das wäre ganz im Sinne des Schlieffenschen Kriegs-
plans gewesen, der die vorübergehende Preisgabe des süd-
lichen Elsaß und die Verteidigung des stark befestigten
rechten Oberrheinufers im Zusammenwirken mit der
Breuschtalfront vorsah, um dem deutschen Stoßflügel die
zahlenmäßige Uberlegenheit zu sichern.
Wohl kein Deutscher würde heute bedauern, wenn man
die Franzosen in das Elsaß zu einem gewiß nur kurzen
Besuch hereingelassen hätte! Dann hätte sich natürlich auch
die deutsche sechste Armee trotz ihres Erstsieges bei Mör-
chingen auf die Abwehr in Lothringen beschränken müssen,
im Zusammenwirken mit unserem größten Waffenplatz Metz,
der doch dazu eigens für schweres Geld ausgestaltet worden
war. Dadurch wäre im Lothringer Loch ein sehr beträchtlicher
Teil deo französischen Feldheeres gefesselt geblieben, wäh-
rend die Feldzugsentscheidung südlich der Marne fiel. Kei-
neofalls hätte Joffre die Möglichkeit behalten, von der
Vogesenfront auf dem kurzen Bahnweg von Toul und
Epinal soviel Korps und Divisionen nach dem Marnebecken
heranzuziehen, als er brauchte, um den deutschen Vollsieg
dort zu verhindern.
Die Verschiebung der Hauptkräfte der sechsten und sie-
benten Armee nach dem rechten Heeresflügel ist viel zu
spät erfolgt. Rechtzeitig hätte sie mindestens vier Korps
und zwei Kavalleriedivisionen dem Stoßflügel zugebracht.
In Lothringen setzte das Trauerspiel, das am 9. Sep-
tember jenseits der Marne zum Abschluß kam, bereits
etwa am 25. August ein. Am 20. August war dort das
französische Einfallheer schwer geschlagen worden, aber der
Vernichtungosieg nach Hindenburgschem Tannenbergmuster
war der deutschen Heeresleitung nicht gelungen, obwohl
die Vorbedingungen dazu noch besser waren, als zwischen
Sambre und Maas. Hier war wenigstens der Gedanke
dazu vorhanden. Von Metz ber sollte der deutsche Flanken-
stoß das französische Einfallheer in die Nordvogesen werfen,
nachdem seine Stoßkraft im Anrennen gegen die deutsche
Abwehrfront bei Mörchingen verbraucht war. Der Man
wurde durch das stürmische Vorwärtsdrängen der deut-
schen Mitte bei Mörchingen genau so über den Haufen
geworfen, wie an der Sambre durch Bülows vorzeitigen
Angriff die Franzosen Lanrezac# aus dem Kessel heraus-
gedrückt wurden. Wie anders verstand Below in der Winter-
schlacht in Masuren die Nussenmitte im Raume von Lyk
festzuhalten, big Hindenburgs Umfassungsflügel berum-
geschwenkt waren. Sieben Tage behielt Below die Nerven
zu eigner Zähmung. Im Westen hätten an der Sambre
und bei Mörchingen es ein oder zwei Tage kalten Zuwartens
geschafft.
Aber selbst nach der mißglückten Vernichtungsschlacht an
der Lothringer Grenze war die Lage für die deutsche Kriegs-
leitung noch hervorragend günstig, wenn sie nunmehr nach
Erreichen der kürzesten Linie zwischen Metz und Donon so-
fort zur Abwehr übergegangen wäre. Am 22. August war
110
Lunéville und die obere Vesouze erreicht, die beste und
kürzeste Abwehrfront, in der selbst nach Wiederaufgabe von
Lunéville ganz schwache deutsche Landwehr= und Ersatz-
truppenteile in den vier folgenden Jahren die Front ge-
halten haben.
Statt dessen ließ die Oberste Heeresleitung den Kron-
prinzen von Bayern ohne jede Kenntnis der heimlich neu-
geschaffenen starken französischen Abwehrfront Nancy—
Epinal und ohne die artilleristischen Mittel zu ihrer Be-
kämpfung gegen die Nancy-Front anrennen. Dabei ver-
blutete sich die kostbarste Stoßkraft der kernhaften sechsten
Armee in wenigen Tagen.
Bei rechtzeitigem Ubergang zur Abwehr an der Lothringer
Front konnte von dort die Abgabe für den Osten — zwei
Korpoc und eine Kavalleriedioision — noch schneller und
auf kürzerem Weg, als geschehen, erfolgen und bereits
vom 25. August spätestens ab konnten noch sehr wesent-
liche Verstärkungen, mindestens 4 Infanterie= und 2 Ka-
valleriedivisionen, im ganzen also die Hälfte der sechsten
und siebenten Armee, für den deutschen Stoßflügel ver-
fügbar gemacht werden. Am §. September wurden sie
verspätet — das unselige Kennzeichen der Obersten Heeres-
leitung im ersten Teile des Kriegs — herausgezogen und
griffen am 13. September am Damenweg bei Craonne
ein. Am 25. August herauogezogen, hätten sie am 8.
oder 9. September den Marnekampf in Deutschlando Welt-
sieg verwandeln können. s
So tragen die beiden Entschlüsse der deutschen Obersten
Heeresleituͤng, der erste vom 25. August, der das Garde-
reservekorpo und das XI. Armeekorps vom Stoßflügel des
Westheeres nach Osten abgab, und der andere vom 27. Au-
gust, der in voller Verkennung der Lage beim Gegner den
überstürzten Vormarsch auf Paris für den rechten Heeres-
flügel, der weiterhin durch drei Korps (gegen Antwerpen
und vor Maubeuge) geschwächt war, und gleichzeitig den
Durchstoß zwischen Toul und Epinal für den linken Flügel
des Wesiheeres anordnete, den Keim des Mißerfolgs in sich,
der auf dem Riesenschlachtfeld von Paris bis zu den
Vogesen Anfang September in die Erscheinung trat.
Tatsächlich hat die deutsche Heeresleitung ihrem Stoß-
flügel fünf Korps vor der Entscheidung entzogen, der Gegner
seinem Westflügel ctwa die gleiche Stärke zugeführt (VII.
und XXI. Armeekorps, 2 Infanteriedivisionen, 2 Neserve-
divisionen, 2 englische Infanteriedivisionen)!
Trotz dieser ungeheuerlichen Verschiebung des Stärke-
verhältnisses war dank des weitüberlegenen inneren Wertes
des deutschen Feldheeres die Siegesaussicht durchaus für uns.
Einfach das Einlegen eines mehrtägigen Haltes an der
Aisne Ende August 1914 hätte genügt. Es würde nicht nur
den Kampfwert des Einfallheeres durch Nachziehen von
Marschkranken, Ersatzmannschaften, Munition und Proviant
nahezu verdoppelt, sondern auch die Kriegolage für die
deutsche Heereoleitung so weit geklärt haben, um sie von
ihrer irrigen Anschauung über die Widerstandskraft des
Gegners zurückzubringen.
Griff bis dahin der Feind seinerseits nicht an, so konnte
in vollstem Vertrauen auf den Sieg der Vormarsch nach
wenigen Erholungstagen fortgesetzt werden bis zu dem
RNaume, in dem der Gegner sich zum Endkampfe stellte.
Wo dieser lag, konnte den deutschen Fliegern nicht ver-
borgen bleiben. In geplanter Schlacht in offenem Felde,
frei von den Tücken des Zufalls, war das ausgeruhte
deutsche Feldheer von 1914 jedem Kräfteaufgebot der West-
mächte überlegen. Das ist meine felsenfeste Uberzeugung.
Ich nehme damit die Antwort auf eine Reihe von Fragen
vorweg, die ich zur Kennzeichnung der damaligen An-
schauungen bei Heer und Heimat hier wiedergeben möchte,
weil sie nach der abgebrochenen Marneschlacht die Gemüter
auf das tiefste bewegten.