8 Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
Dietat plötzlich zu einer selbständigen erhoben, der gegenüber
meine Unerfahrenheit und mein Gefühl mir die Stellung er-
schwerten. Das erste Stadium, in welchem der juristische Neu-
ling damals zu einer selbständigen Thätigkeit berufen wurde,
waren nämlich die Ehescheidungen. Offenbar als das Unwich-
tigste betrachtet, waren sie dem unfähigsten Rathe, Namens
Prätorius, übertragen, und unter ihm der Bearbeitung der
ganz grünen Auscultatoren überlassen worden, die damit in
corpore vili ihre ersten Experimente in der Richterrolle zu
machen hatten, allerdings unter nomineller Verantwortlichkeit
des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht
beiwohnte. Zur Charakterisirung dieses Herrn wurde uns
jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs
der Abstimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu
sagen pflegte: „Ich stimme wie der College Tempelhof“, und
gelegentlich darauf aufmerksam gemacht werden mußte, daß
Herr Tempelhof nicht anwesend sei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich,
wenige Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten
Ehepaare den Sühneversuch vornehmen solle, der für meine
Auffassung einen gewissen kirchlichen und sittlichen Nimbus
hatte, dem ich mich in meiner Seelenstimmung nicht adäquat
fühlte. Ich sand Prätorius in der verdrießlichen Stimmung
eines zur Unzeit geweckten ältern Herrn, der außerdem die
Abneigung mancher alten Bürokraten gegen einen jungen
Edelmann hegte. Er sagte mit geringschätzigem Lächeln: „Es
ist verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man sich auch nicht
ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie man
das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer zu-
rück. Der Fall lag so, daß der Mann geschieden sein wollte,
die Frau nicht, der Mann sie des Ehebruchs beschuldigte, die
Frau mit thränenreichen Declamationen ihre Unschuld be-
theuerte und trotz aller Mißhandlung von Seiten des Mannes