II. Abschnitt: Das Freizügigkeitsrecht. 207
Die Gemeinde ist nicht befugt, von neu Anziehenden wegen des
Anzuges eine Abgabe zu erheben. Sie kann dieselben, gleich den
übrigen Gemeindeeinwohnern, zu den Gemeindelasten heranziehen.
Uebersteigt die Dauer des Aufenthalts nicht den Zeitraum von 3 Monaten,
so sind die neu Anziehenden diesen Lasten nicht unterworfen. (8 8;
Abgabenfreiheit.) Uebersteigt sie 3 Monate, so ist vom Tage des Anzugs
die Abgabe zu entrichten.
Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekenntnisses
willen oder wegen fehlender Landes= oder Gemeindeangehörigkeit der
Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb
von Grundeigentum verweigert werden. (§ 1 Abs. 6).
Durch den bloßen Aufenthalt oder diebloße Nieder-
lassung, wie sie das Freizügigkeitsgesetz gestattet, werden
dagegen andere Rechtsverhältnisse, namentlich die Ge-
meindeangehörigkeit, das Ortsbürgerrecht, die Teil-
nahme an den Gemeindenutzungen und der Armenpflege,
nicht begründet.
Wenn jedoch nach den Landesgesetzen durch den Aufenthalt oder
die Niederlassung, wenn solche eine bestimmte Zeit hindurch ununter-
brochen fortgesetzt worden, das Heimatsrecht (Gemeindeangehörigkeit,
Unterstützungswohnsitz) erworben wird, behält es dabei sein Bewen-
den. (§ 11).
Andererseits hat das Freizügigkeitsrecht auf dem Gebiete des
Gewerberechts (5§ 1 der Gewerbe-Ordnung), der Ausübung des ärztlichen
Berufs (§5 46 der Gewerbe. Ordnung) und hinsichtlich der Erfüllung der
Militärdienstpflicht (Kriegsdienstgesetz § 17, Abs. 1 und Militärgesetz § 12, Abs. 2)
sich ausgedehnt.
Wer die aus der Reichsangehörigkeit folgenden Befugnisse in
Anspruch nimmt, hat auf Verlangen den Nachweis seiner Reichsan-
gehörigkeit und, sofern er unter elterlicher Gewalt oder unter Vormund-
schaft steht, den Nachweis der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters
zu erbringen. (§ 2). Kann er diesen Nachweis nicht führen, so hat
er unter Umständen Ausweisung zu gewärtigen. Er wird aber jeden-
falls bis zum Beweis der Reichsangehörigkeit als Ausländer nach den
betreffenden Landesgesetzen behandelt.
Eine Ehefrau bedarf der Genehmigung des Ehemanns. (Gesetz
vom 18. August 1896, Art. 37 S. 613).
Als Ausweise über den Besitz einer Staatsangehörigkeit gelten
entweder «
1. die Heimatscheine für den Gebrauch im Ausland, welche nach
den Formen des Bundesratsbeschlusses vom 20. Januar 1881
(Zentralblatt S. 22) ausgefertigt werden oder
2. Staatsangehörigkeits-Ausweise für den Gebrauch im Reichsgebiet
nach den vom Bundesrat am 3. März 1883 Zentralblatt
S. 66 vorgeschriebenen Formularen;