— 31 —
86.
Was gibt den Anstoß zu dem für die Erebution erforderlichen
Bundesratsbeschlusse?
Wer ist antragsberechtigt?
Die Antwort auf die erste Frage gibt in erster Linie Art. 17
der Reichsverfassung. Wenn diese Gesetzesbestimmung dem Kaiser die
Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueber-
wachung der Ausführung derselben überträgt, so soll damit auch ge-
sagt werden, daß der Kaiser erst recht das oberste aller Reichsgesetze,
die Reichsverfassung in ihrer Ausführung zu überwachen hat.
Die Ueberwachung der Ausführung eines Reichsgesetzes ist je-
doch ebenso wie dessen Ausfertigung und Verkündigung nicht nur ein
Recht des Kaisers, sie begründet auch eine Ueberwachungspflicht. Es
muß demnach als eine verfassungsmäßige Rechtspflicht des Kaisers er-
achtet werden, von Amtswegen alle Fälle etwaigen Ungehorsams der
Bundesglieder gegen Gesetze oder Anordnungen, welche vom Reiche
selbst oder den Organen der Reichsgewalt ausgehen, zur Kenntnis des
Bundesrates zu bringen, damit dieser gegen das unbotmäßige Mit-
glied Zwangsmaßregeln ergreife. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß
nächst dem Kaiser — also konkurrierend, nicht subsidiär — jedes Bundes-
glied berechtigt ist, beim Bundesrate auf Exehution gegen ein anderes
Bundesglied anzutragen. Es findet diese Annahme ihre rechtliche
Stütze im Art. 7 Absatz 2 der Verfassung, der jedes Bundesglied
für befugt erklärt, im Bundesrate Vorschläge zu machen und in Vor-
trag zu bringen und das Präsidium verpflichtet, dieselben der Be-
ratung zu übergeben.
Eine Tätigkeit des Bundesrates hann ferner in dieser Richtung
veranlaßt werden durch den Reichstag; denn ihm steht nach Art. 23
der Reichsverfassung das Recht zu, an ihn gerichtete Petitionen und
Beschwerden dem Bundesrate bezw. dem Reichskanzler zu überweisen.
Endlich kann der Bundesrat durch die Beschwerde eines ver-
letzten Untertanen aufmerksam gemacht und damit befaßt werden.
Die Beantwortung der zweiten Frage muß mit Rücksicht auf die
Natur des Bundesrates als Organ der verbündeten Regierungen zur
Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte am Reiche eine Einschränkung
erfahren im Verhältnisse zur ersten Frage. Wenn der Bundesrat ein
Kollegium der Bevollmächtigten der einzelstaatlichen Regierungen vor-
stellt, so folgt daraus, daß als antragsberechtigt immer nur ein Bundes-
glied oder eine Mehrheit von Bundesgliedern angesehen werden Rhann,
daß die Befugnis zur Antragstellung im Bundesrate weder dem Reichs-
tage noch einem einzelnen Untertanen zustehen khann.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatze macht der Kaiser, die
jedoch im praktischen Ergebnis dem aufgestellten Satze nicht zu-
widerläuft.