Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

418 Das Verfassungsrecht. 9 63 
Wählbar zum Abgcordneten ist jeder Preuße, der das dreißigste Lebens- 
jahr vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechts- 
kräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren hat und bereits ein 
Jahr lang dem preußischen Staatsverbande angehörto). Ein ferneres 
Erfordernis ergibt sich aus Art. 78 Abs. 4 der Verfassungsurkunde, 
wonach niemand Mitglied beider Häuser des Landtages sein kann. 
Nicht wählbar zum Abgeordneten sind demnach die Mitglieder des 
Herrenhauses. Ebenso sind nach dem Gesetze vom 27. März 1872, 
betreffend eine Zusatzbestimmung zum Art. 74 der Verfassungsurkunde 
und zur Verordnung wegen Bildung der ersten Kammer vom 
12. Oktober 18547), der Präsident und die Mitglieder der Ober- 
rechnungskammer von der Mitgliedschaft beider Häuser des Landtages 
ausgeschlossen. Weitere Erfordernisse für die Wählbarkeit werden 
nicht aufgestellt. Insbesondere sind somit die Beamten wählbar. Diese 
bedürfen zum Eintritte in den Landtag keines Urlaubes. Eine solche 
Bestimmung kann das preußische Recht natürlich nur für die eigenen 
unmittelbaren oder mittelbarens) Staatsbeamten trefsen, nicht für die 
Reichsbeamten. Indem für die Wählbarkeit das Erfordernis der Selbst- 
ständigkeit fallen gelassen wird, werden gewisse Klassen, die absolut 
unfähig sind, den Abgeordnetendienst zu versehen, nicht ausdrücklich 
ausgeschlossen, so z. B. die Geisteskranken. Gleichwohl ist anzunehmen, 
das Personen, denen selbst die privatrechtliche Handlungsfähigkeit man“ 
gelt, und die deshalb von der Wahlberechtigung ausgeschlossen sind, 
auch nicht zum Abgcordneten gewählt werden können, da die Nok-' 
wendigkeit der Handlungsfähigkeit schon aus der Aufgabe der Land 
tagsabgeordneten folgt (§ 29 der Verordnung, Art. 78 der Vel- 
fassungsurkunde). 
—.— — — — — — 
6) In Uebereinstimmung damit befindet sich der suspendierte Art. 7- 
der preußischen Verfassungsurkunde, der jedoch statt der einjährigen eim 
dreijährige Staatsangehörigkeit ersordert. Daß das Erfordernis ein 
jähriger Staatsangehörigkeit sich mit Rücksicht auf Art. 3 der Reich“ 
verfassung nur auf Personen beziehen kann, die vorher nicht Reichs“ 
angehörig waren, wie v. Stengel, Pr. St.-R., S. 80, N. 1 meint 
ist unrichtig. Art. 3 der Reichsverfassung berührt politische Rechte über“ 
haupt nicht. 
1) G.-S. 1872, S. 277. 
") Zweifelhaft hinsichtlich der mittelbaren Beamten v. Rönne' 
Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 316.
	        
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