— 23 —
dem Willen derselben jemals ein anderes Subjekt ein Recht auf die
Souverainität erwerbenss): mit anderen Worten, nur die absolute
Demokratie sei eine rechtmäßige Staatsform. Es folgt daraus, daß
wenn ein Individuum oder ein größerer Bruchtheil des Volks sich
der Staatsgewalt thatsächlich bemächtigt, eine Legitimirung dieser
Thatsache eine rechtliche Unmöglichkeit ist.
Die consequente Entwickelung und Begründung dieser einschnei-
denden Lehre ist das Werk eines Mannes, des Genfers I. J.
Rousseaus"). Seine Beweisführung hat auch in späterer Zeit,
trotz der weiten Verbreitung und weltbewegenden praktischen Wir-
kung der Resultate, keine wesentliche Ergänzung gefunden. Sie be-
ruht auf zwei Hauptsätzen: der Unveräußerlichkeit der Freiheitss)
und dem Gemeininteresse als Zweck der Staatsverbindung 55). Die
Freiheit ist unveräußerlich, behauptet Rousseau; da aber andererseits
eine sociale Ordnung unumgänglich nothwendig ist, so muß eine
Erherzog von Modena zukommen), nicht stillschweigend verzichtet hat. — Vor
dieser ertremen Consequenz scheint die von Zöpfl, I, § 206, II, aufgestellte An-
sicht, daß die bleibende Unmöglichkeit einer Verfolgung des Herrschaftrechts durch
Waffengewalt praktisch dem Verzicht gleichstehe, zu schützen; aber der Begriff des
„Bleibenden“ ist, wie schon Mejer, S. 234, N. 6, eingewandt hat, „in dieser
Allgemeinheit juristisch nicht verwendbar.“ Durch Statuirung einer Verjährung
für usurpirte Throne (Stahl. Walter) aber verliert die Theorie ihren Boden.
53) Dies drückt die französische Verfassung von 1793 (Declaration des
droits de PFhomme et du citoyen art. 25) durch die Worte aus: „La souve--
raineté réside dans le peuple; elle est une et indivisible, imprescriptible
et inaliénable“; an einer andern Stelle (Acte constitutionnel art. 7) definirt
bieselbe den „peuple souverain“ als „Tuniversalité des citoyens français“.
Die Verfassung von 1795 (Déclaration des droits Cct. art. 18) fügt hinzu:
„Nul individu, nulle réunion partielle de citoyens ne peut s'attribuer la
souveraineté“.
54) Jean Jacques Rousseau, Du Contract Social; ou Principes du
Droit Politique, zuerst 1762. Vgl. die Kritiken von Stahl (Rechtsphilosophie,
I. S. 299—316), Mohl (Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, 1,
S. 237—238), Bluntschli (Staatswörterbuch, VIII, S. 76—749). Nicht die
Lehre vom Staatsvertrage, sondern die von der Unveräußerlichkeit der Freiheit
und (folgeweise) der Souverainität ist das Charakteristische, Epochemachende die-
ser Schrift; auf den Vertrag hatte Grotius die Rechtmäßigkeit der Sklaverei und
Hobbes die der absoluten Fürstengewalt begründet. Der Vertrag an und für
sich kann eben jeden denkbaren Inhalt aufnehmen und in das positive Recht
einführen.
55) Siehe namentlich Livre I, Chap. VI: Du Pacte Sooeial.
56) Diese Begründungsart ist vornehmlich ausgeführt in Livae II, Chap.
I: Que la souveraineté est inaliénable.