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gehört hat, als ein souveraines Gemeinwesen zu existiren, existirt
auch sein Recht nicht mehr"). — Dieser ganzen so scheinbaren Ar-
gumentation liegt aber ein wesentliches Mißverständniß zu Grunde.
Wir geben vollkommen zu, daß die Menschen vernünftigerweise in
Staaten leben sollen; allein aus der Vernunft folgt nur ein Postu-
lat an die Menschen, das dieselben nach Maßgabe der wirklichen
Verhältnisse realisiren sollen 5). Die allgemeine Vernunftmäßigkeit
der Staatsidee bedarf zu ihrer Ausführung vernünftiger und vor
Allem rechtlicher Mittel, wenn das Produkt als vernünftig und vor
Allem als rechtlich anerkannt werden soll 66). Eine naheliegende
Parallele wird diese Unterscheidung deutlicher machen: gewiß ist das
Privateigenthum ein vernünftiges Institut; aber folgt daraus, daß
jede totale physische Herrschaft eines Menschen über eine Sache, gleich-
viel auf welche Weise dieselbe erworben ist, Anspruch auf rechtliche
Geltung hat? müssen nicht vielmehr die einzelnen Erwerbarten des
Eigenthums rechtlich bestimmt sein? und zumal kann ein im Wi-
derspruch zu einem bisherigen Eigenthumsrecht erworbener Besitz
ohne Weiteres Eigenthum begründen? Noch klarer wird der wesent-
liche Unterschied zwischen der Sanktion der Staatsidee durch das
Vernunftrecht und der Rechtmäßigkeit des einzelnen Staats, wenn
wir einen Blick auf geschichtliche Staatsverhältnisse werfen. Läßt
sich aus der Vernunft die Existenz von einigen dreißig souverainen
Staaten in Deutschland, namentlich in ihrer jetzigen Begränzung,
deduciren? Sind andererseits etwa die ungeheuren Reiche, welche
vorübergehend von Asiatischen Eroberern gegründet wurden, ver-
nunftgemäß gewesen? Ist es für einen Theil der Bevölkerung des
ehemaligen Königreichs Polen ein Vernunftgebot, zu Rußland, für
einen andern, zu Preußen, für einen dritten, zu Oesterreich zu ge-
hören? — Man könnte mir vielleicht entgegnen, daß auch der we-
nigst vernunftgemäße Staat besser sei als Anarchie 67); aber in un-
64) Vgl. Held u. Zöpfl an den in N. 61 citirten Stellen; auch Fries,
Politik oder philosopbische Staatslehre, S. 331—337.
65) Richtig Stahl-= III, S. 187; nur ist der Schluß, daß Begründung des
Cconcreten) Staates aus der Vernunft nicht möglich sei ohne die Vermittelung
des Vertrages, einseitig, da der Vertrag nicht die einzige rechtsbegründende That-
sache ist.
66) Vgl. die Ausführung Mohlss in seiner Encyklopädie, S. 86 ff.
67) Schon Pythagoras lehrte: ##70 e# kek feer kasch Grapxiag. (Hil-
denbrand, Geschichte und System der Rechts= und Staatsphilosophie, Leipzig
1860, I, S. 56 N. 6.)