Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

nur aus der Ungleichheit der Machtverhältnisse hervorgehen kann 78). 
Wie man leicht ersieht, hat diese Ansicht eine auffallende, dem Autor 
freilich wohl kaum bewußt gewordene Aehnlichkeit mit der Stahl'- 
schen Auffassung der Legitimität; nur daß Stahl richtiger die Noth- 
wendigkeit gefühlt hat, für die Begründung einer solchen Theorie 
einen für den Verstand unbegreiflichen Faktor zu Hilfe zu nehmen. 
Wie kann, fragen wir, die Autorität der Obrigkeit gegen die Will- 
kür der Menschen dadurch erfolgreich geschützt werden, daß sie ohne 
die Sanktion des Rechts in das Leben tritt? Die Machtverhältnisse, 
auf denen sie beruhen soll, sind möglicherweise niemals vorhanden 
gewesen, sondern nur Ueberraschung oder Betrug hat im Augenblick 
den Widerstand gelähmt; aber wenn wir auch zugeben, daß in der 
Regel die thatsächliche Entstehung oder Erwerbung einer Staats- 
herrschaft auf einer wirklichen Uebermacht basirt, so muß ja mit 
dem Verschwinden dieser Uebermacht auch das angebliche Recht ver- 
schwinden. So kommt man zu dem Resultate, welches F. selbst 
ausspricht, daß die Legitimität sich täglich und stündlich durch ihre 
eigene Lebenskraft legitimiren muß; daß, wenn diese Legitimirung 
einen Augenblick unterbrochen, die Legitimität selbst erloschen ist 79). 
Die Legitimität wird mithin zu einer bloßen Thatsache, welche ge- 
rade jeder Willkür Preis gegeben ist. 
Das erscheint überhaupt als die unleugbare Consequenz und 
die ungeheure praktische Gefahr aller Besitztheorien, daß sie das Recht, 
welches sie mit solcher Leichtigkeit entstehen lassen, im Grunde selbst 
negiren; ja sie enthalten ihrem innersten Kern nach eine Aufhebung 
alles Staatsrechts. Was, wenn es Erfolg hat, Recht ist, kann nicht, 
wenn es unterliegt, ein Unrecht, geschweige ein Verbrechen sein; 
damit fällt der Begriff und die Strafbarkeit des Hochverraths. 
Aber auch die Usurpation einer einzelnen Befugniß der Staatsge- 
walt kann nicht Unrecht sein, wenn die Usurpation der gesammten 
Staatsgewalt legitim ist, und noch viel weniger kann die bloße 
Nichtbeachtung einer staatlichen Vorschrift dann als Unrecht gelten. 
  
78) I, S. 149; II, S. 14—15, 81, 83—84. Wenn auch Ahrens, Die 
organische Staatslehre, S. 178—179, die Selbstsetzung einer regierenden Gewalt 
als den Anfang jeder Staatsbildung bezeichnet, so hat er doch nur die natürliche 
Entwickelung im Auge; Fröbel dagegen betrachtet die durch Gewaltergreifung 
entstandene Autorität als ein wirkliches Recht, und deshalb müssen wir uns hier 
mit seiner Theorie beschäftigen. 
79) II, S. 87.
	        
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