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von einem Recht der Revolution als Nothrecht des Volkes 88);
Warnkönig will eine Regierung, die einem Nothstand ihre Eristenz
verdankt, für legitim anerkennen 84); ausführlich begründet Mohl
die rechtliche Existenz eines Staates, wenn die Gewalt, welche ihn,
wenn auch unter Widerspruch Betheiligter, schuf, unter den ge-
gebenen Umständen das einzige Mittel zur Erreichung eines noth-
wendigen Zweckes war 85). Aber, selbst wenn wir absehen von der
Frage, von wem und auf welche Weise in dem concreten Fall das
Vorhandensein der Noth constatirt werden soll, so können wir doch
nicht hinweg über den principiellen Einwand, daß die Noth über-
haupt keine rechtsbildende Kraft besitzt, keine Rechtsquelle ist; sie
entschuldigt allerdings vor einem moralischen und politischen Ge-
sichtspunkt einen Bruch des Rechts, aber, sofern nicht das Recht
selbst für Nothfälle Ausnahmen statuirt hat, ist das im Drange der
Noth mit Verletzung rechtlicher Vorschriften Geschaffene formelles
Unrecht, so lange es nicht durch die Kraft einer Rechtsquelle geheilt
worden ist. Wenn z. B. die Bevölkerung einer Colonie, für welche
eine selbstständige staatliche Existenz Bedürfniß geworden ist, von
dem Mutterlande, welches eine friedliche und rechtliche Trennung
verweigert, sich gewaltsam losreißt, so ist der neugegründete Staat
zunächst unrechtmäßig, bis eine neue Rechtsbildung stattgefunden
hat s6). Die entgegengesetzte Ansicht verkennt die formelle Natur
83) Bluntschli, II, S. 18. Doch spricht derselbe I, S. 242, wo er den Fall
der Lossagung eines Staatstheiles und der Constituirung dieses Theiles zu einem
selbstständigen Staate behandelt, nur von einer durch wirkliche Noth und Befähi-
gung zu selbstständiger Stellung gegebenen „inneren Berechtigung“ dieser Akte.
84) Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, VII, S. 496, Nr. 4
(ogl. S. 474). In seiner Rechtsphilosophie (S. 270—71) drückt sich Warnkönig
über die Existenz eines eigentlichen Nothrechts minder bestimmt aus.
85) Mohl, 1. c. S. 91, 96—97, 162—166, 169. Wenn es S. 166 heißt:
„Es ist nicht blos feige Folgewidrigkeit und Gesinnungslosigkeit, welche bei Re-
volutionen nach dem Erfolge urtheilt, sondern in der That gibt hier nur der Sieg
auch das Recht, weil nur aus jenem auf das Vorhandensein der Bedingungen
des letzteren geschlossen werden kann“, so ist dieser Schluß selbst für die politische
Beurtheilung der Revolution kaum richtig. Das Unterliegen einer Revolution
ist allerdings in der Regel eine Verurtheilung derselben, weil keine Revolution
ohne sichere Aussicht auf Erfolg begonnen werden sollte; aber der Sieg einer
Revolution hängt oft von sehr zufälligen Momenten ab, und beweis't durchgingig
nur die Schwäche der Regierung, nicht eine unerträgliche Bedrückung, also keinen
Nothfall. Die Pariser Februarrevolution dürfte einen einleuchtenden Beleg für
diese Behauptung bieten.
86) Ebenso ist der Aufstand der Griechen gegen die Türkische Herrschaft und