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lichen s. staatsrechtlichen Verjährung geltend gemacht und insbeson-
dere auf den Fall einer Usurpation der Staatsgewalt angewandt);
er bezeichnet mit diesem Ausdruck die Umwandelung (Veredelung)
der faktischen Staatsordnung (des „staatlichen Besitzes") zur Rechts-
ordnung; die neue Rechtsbildung sei vollzogen, „für den Staat der
Besitz zu Recht erwachsen,“ wenn „der neue faktische Zustand von
den lebendigen Organen des staatlichen Gemeingefühls und Bewußt-
seins anerkannt und zugleich die Möglichkeit einer Restauration der
gestürzten Autoritäten verschwunden ist;“ nur in letzterer Beziehung
komme auch die völkerrechtliche Anerkennung in Betracht.
II. Erwägen wir nunmehr, inwiefern der allgemeine Begriff
der Verjährung auf die uns vorliegende Frage überhaupt paßt, so
läßt sich zuvörderst nicht in Abrede stellen, daß die thatsächlichen
Voraussetzungen durchaus zutreffen: es handelt sich um ein Recht,
das zeitweise von seiner Ausübung geschieden ist, und wir sollen
ermitteln, inwiefern der das Recht (die Staatsgewalt) unrechtmäßi-
gerweise Ausübende das Recht selbst erwerben kann. Man wird
sogar leicht vermuthen, daß in diesem Falle nichts natürlicher sei,
als daß die fortgesetzte Ausübung selbst den Erwerbgrund des Rechts
bilde. Auch die ratio aller Verjährung, das Bedürfniß der Rechts-
sicherheit 105), trifft zu, und zwar anscheinend im höchsten Maße;
denn nicht allein, daß ohne die Hülfe dieses Instituts das Herr-
schaftsrecht, sobald es streitig ist, ob nicht einmal eine Usurpation
desselben stattgefunden hat, in steter Ungewißheit zu bleiben scheint,
wird durch diese Ungewißheit die gesammte Rechtsordnung des
Staates schwankend. Wie bereitwillig wir aber auch diesen Grün-
den Raum geben, stehen doch andererseits der Anwendung der Ver-
jährung auf eine usurpirte Staatsgewalt unabweisbare Bedenken
entgegen. Wir legen allerdings kein entscheidendes Gewicht auf das
Fehlen einer bestimmten Verjährungsfrist für diesen Fallt06); der
Zweck der Verjährung wird zwar durch diesen Mangel bedeutend
104) Staatsrecht, I. S. 23—24, II, S. 61—62; Staatswörterbuch, VI,
S. 356—357.
105) Vgl. bes. Savigny, IV, S. 305. Wenn Manche (z. B. H. Ahrens,
Die Rechtsphilosophie, S. 306, S. 477—478) auch die Nothwendigkeit der wirk-
lichen Ausübung (des Gebrauchs) des Rechts von Seiten des Berechtigten als
Princip der Verjährung bezeichnen, so stellen sie einen Satz auf,w der leicht zu be-
denklichen Consequenzen führt; richtiger ist es, die Nachlässigkeit des Berechtigten
als eine negative Voraussetzung der Verjährung aufzufassen (s. unten sub 2).
106) Stärker betont dieses Moment Zöpfl, J, & 75, N. 6.