Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

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oder nicht; wir haben jedoch bei unserer ganzen Untersuchung stets 
das (objektiv) gewisse Faktum einer Usurpation im Auge. Wer 
nun zu irgend einer Zeit die Ueberzeugung gewinnt, daß der An- 
fang einer Staatsherrschaft illegitim gewesen, wird dieselbe, auch 
wenn sie zwei Menschenalter hindurch ununterbrochen ausgeübt ist, 
für illegitim halten müssen, sofern nicht ein rechtsgültiger Erwerb- 
grund nachträglich eingetreten ist"s). Allerdings wird das Bewußt- 
sein der illegitimen Entstehung mit dem Wechsel der Generationen 
dahinschwinden .); aber wenn aus Geschichtsquellen irgendwelcher 
Art auch nach Jahrhunderten der Beweis derselben geführt wird, 
ist die Vermuthung, welche man aus der unvordenklichen Ausübung 
schöpfen könnte, zerstört. 
§ 9. Die Legitimation durch den Willen des Volkes. 
Unter den Gebildeten und Halbgebildeten überaus weit ver- 
breitet ist die Anschauung, daß eine usurpirte Staatsgewalt nur 
durch den Willen (die Zustimmung, den Consens) des Volkes, d. h. 
der Gesammtheit der ihr thatsächlich Unterworfenen, legitim werden 
könne, daß aber dieser Wille auch in jedem Falle zur Legitimation 
hinreiche. Im Staatsleben, namentlich während der neuesten Zeit, 
sehen wir zahlreiche Versuche, durch eine Abstimmung, sei es einer 
gewählten Volksvertretung, sei es unmittelbar der einzelnen Bürger, 
diese legitimirende Kraft in Wirksamkeit zu setzen. In der Theorie 
sind die Vertheidiger dieser Ansicht wohl nur deshalb wenig zahl- 
reich, weil das wissenschaftliche Princip, worauf allein dieselbe sich 
begründen läßt, in den meisten Fällen einer gewaltsamen Verände- 
  
128) v. Savigny (IV, S. 533) will freilich, auch wenn eine unrechtmäßige 
Entstehung nachgewiesen ist, aus der Ausübung während der zwei letzten Men- 
schenalter die Vermuthung des spätern Eintritts eines Rechtsgrundes ableiten; 
diese Behauptung ist aber ganz unbegründet. 
129) Es ist aber wider alle Erfahrung, anzunehmen, daß gerade nach zwei 
Generationen der neue Zustand mit den Ueberzeugungen, Gefühlen und Interessen 
der Nation gänzlich verschmolzen sei (Sav. IV., S. 483): während z. B. die 
Irische Bevölkerung nach 700 Jahren Britischer Herrschaft dieselbe als eine aufge- 
drungene Fremdherrschaft haßt, erscheint den Belgiern die unabhängige Existenz 
ihres Staates und das Königthum der Koburgischen Dynastie nach einer Dauer 
von drei Jahrzehnten rechtmäßig begründet und durchaus festgewurzelt; ebenso 
hat gewiß jetzt, nach 50jähriger Herrschaft, die Dynastie Bernadotte in Schweden 
dasselbe Resultat für sich erreicht.
	        
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