— 47 —
rechtlichen Statthaftigkeit einer nichtdemokratischen Staatsform, der
aus sehr concreten Ursachen hervorgegangenen zweimaligen Vertrei-
bung der Stuarts und den neugeschaffenen Zuständen eine wisseu-
schaftliche Grundlage zu geben!), und während die Deutschen theils
wohl aus Mäßigkeit der Gesinnung, theils ebenfalls im besondern
Hinblick auf ein einzelnes Ereigniß“) sich ihnen anschlossen, —
war für die Franzosen die Doktrinu Rousseau's von der unveräußer-
lichen Volkssouverainität bestimmend, und sie modificirten dieselbe
nur so weit, als der dreimal vor ihren Augen emporsteigende Im-
perialismus und das viermal durch eine Revolution gestürzte Kö-
nigthum, das heißt also die neuesten Entwickelungsphasen der Fran-
zösischen Geschichte, eine theoretische Berücksichtigung verlangten “).
Wir prüfen zunächst den Grundsatz der latenten Volkssouve-
rainität; dann die daraus abgeleitete allgemeine Widerruflichkeit der
Staatsgewalt eines andern Subjekts; hierauf die besonderen Vor-
aussetzungen, an welche die erste der eben bezeichneten Richtungen
jede Wirksamkeit des Volkswillens bindet; endlich die Mittel, durch
welche der (angeblich oder wirklich) souveraine Wille des Volkes
sich äußern soll.
I. Die Anhänger der latenten Volkssouverainität nehmen nicht,
wie Rousseau, die Unübertragbarkeit der dem Volke zustehenden
Herrschaft an; vielmehr kann nach ihrer Ansicht auch ein anderes
Subjekt als das Volk. die Souverainität rechtmäßigerweise inne
haben und als ein selbstständiges Recht üben; aber ursprünglich ist
immer das Volk Souverain, nur durch eine Uebertragung von sei-
ner Seite kann eine beschränktere Personenzahl zur Herrschaft be-
rufen werden, und trotz dieser Uebertragung bleibt die Substanz
des Rechtes bei dem Volke. Aktuell ist in der Monarchie und in
der Aristokratie die Souverainität bei dem Fürsten, resp. der herr-
schenden Körperschaft, potentiell s. virtuell bei dem Volke — das
139) In Betreff Milton's geht dies schon aus dem Titel seines Buchs her-
vor; Locke sagt in der Vorrede geradezu, seine Abhandlungen würden hoffentlich
genügen, den Thron des großen Wiederherstellers, König Wilhelm's, zu befestigen,
und ihm den einzigen Titel aller rechtmäßigen Regierungen, die Einwilligung des
Volks, zu vindiciren. *
140) Ahrens, bekanntlich längere Zeit Professor in Brüssel, nennt als ge-
schichtliches Beispiel für seine Theorie neben der Berufung des Hauses Hannover
auf den englischen Thron die Schaffung des Belgischen Königthums.
441) Dies gilt auch von B. Constant und Sismondi, die sich anscheinend
mehr polemisch gegen Rousseau verhalten.