BRIEFE DES KAISERS AN SEINEN FREUND ROOSEVELT 573
Anschauungen und Bemühungen in dieser Richtung zu gewinnen, war nicht
schwer. Nach seiner ganzen Individualität gefiel der unternehmende, tätige,
unermüdliche, waghalsige Amerikaner Seiner Majestät dem Kaiser beson-
ders gut. Der amerikanische Multimillionär, der damals anfing sich häufiger
in Europa zu zeigen, gefiel dem Deutschen Kaiser sogar ausgezeichnet.
Wilhelm II. glich darin seinem Onkel, dem König Eduard, daß viel Geld
ihm imponierte. Der damals erste Mann der Vereinigten Staaten, Theodore
Roosevelt, übte auf den Kaiser besondere Attraktionskraft aus. „Das ist
mein Mann!“ pflegte er auszurufen, sobald die Rede auf ihn kam. Mit
Bewunderung las er in den Berichten unseres Botschafters, daß Roosevelt
gleich einem Cowboy die gewagtesten Reiterkunststücke ausführte, daß er
wie Buffalo Bill auf die weiteste Entfernung mit der Büchse jedes Ziel
treffe, daß er den Teufel im Leibe habe, sich vor nichts fürchte und alles
unternehme. Wie aber bei Wilhelm II. meist die Gefahr der Übertreibung
an und für sich richtiger Gedanken bestand, so war es auch in diesem Fall.
Er begann bald eine Korrespondenz mit Roosevelt, von der dasselbe galt
wie von seinen Briefen an den Zaren. Wenn er mir seine in vortrefflichem
Englisch geschriebenen Briefe vor ihrer Absendung zeigte und mir gestat-
tete, zwei oder drei bedenkliche Wendungen zu eliminieren, so konnte der
Rest in seiner ursprünglichen, kräftigen Art nur gut wirken. Eine solche
prophylaktische Kontrolle war freilich nötig. Die unselige Voreingenommen-
heit Seiner Majestät gegen das Land der aufgehenden Sonne machte sich
auch in seiner Korrespondenz mit Roosevelt geltend. Der Kaiser wollte
immer wieder Roosevelt vor heimtückischen Plänen der Japaner warnen.
Er war überzeugt, daß ein Krieg zwischen Japan und den Vereinigten
Staaten ganz unvermeidlich und nahebevorstehend sei, und hat vom ersten
bis zum letzten Tage meiner Amtszeit an dieser Wahnvorstellung fest-
gehalten, obschon ich ihm auf Grund meiner guten Beziehungen zu japa-
nischen Diplomaten wie namentlich zu vielen Amerikanern beständig das
Gegenteil versicherte. Ich entsinne mich, daß er mir einmal gelegentlich
sagte, er habe während einer Abwesenheit von Berlin einen „famosen“
Brief an seinen Freund Roosevelt geschrieben, der diesem einen ordent-
lichen Floh ins Ohr setzen würde. Da er und ich damals räumlich getrennt
gewesen wären, hätte er mir diese Epistel nicht vor ihrer Absendung zeigen
können, wolle sie mir aber jetzt nicht länger vorenthalten. Der fragliche
Brief enthielt neben sehr heftigen Ausfällen gegen die „Japs‘“ ziemlich
phantastische Nachrichten über deren Kriegsvorbereitungen gegen Amerika
und die energische Aufforderung, Roosevelt möge gegen die „gelbe Ge-
fahr“ besser als bisher auf der Hut sein. Ich erklärte dem Kaiser, daß dieser
Brief nicht in die Hände von Roosevelt gelangen dürfe: einerseits hielte ich
das Schreiben sachlich für unzutreffend, andererseits dürfe der Kaiser nicht
Wilhelm II.
und U.S.141.