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allgemeinen Fassung ungeachtet nur mit derjenigen Beschränkung anzuwenden, welche sich für den Fall elner
vorhergegangenen strafgerichtlichen Untersuchung aus dem Vorstehenden ergiebt.
Hiernach muß lediglich auf Grund der Entscheidung der zuständigen Kriminalgerichte und ohne jede
nochmalige Erörterung der Thatfrage gegen den Angeschuldigten als feststehend angenommen werden, daß der-
selbe sich einen, amtlich in seine Gewahrsam gekommenen, mit 490 Thlrn. beschwerten Geldbrief rechtswidrig
zugeeignet hat. Die Unterschlagung eines mit einer so bedeutenden Summe beschwerten Brlefes enthält aber
eine so schwere Verletzung der Amtspflicht eines Postbeamten, daß seine Belassung im Amte unmöglich ist.
Auch dem eventuellen Antrage des Angeschuldigten auf Bewilligung eines Theils der gesetzlichen Pension kann
nicht stattgegeben werden. Eine solche Bewilligung ist nach §. 16 des preußischen Disziplinargesetzes vom
21. Juli 1852 sowohl als nach §. 75 des Reichsbeamten-Gesetzes dadurch bedingt, daß besondere Umstände
eine mildere Beurtheilung zulassen. An dieser Voraussetzung fehlt es gänzlich.
Mittelbare und unmittelbare Reichsbeamte. Die von den Landesregierungen angestellten Postsekretäre
sind zunächst Landesbeamte und ihrer Landesregierung in Bezug auf Disziplin etc. untergeordnet. —
Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung gegen einen in Preußen angestellten und fungirenden Postsekretär
nach Maßgabe des preußischen Disziplinargesetzes vom 21. Juli 1852. — Emanation des Reichsgesetzes
vom 31. März 1873 über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten nach geschlossener Voruntersuchung;
Anwendbarkeit seiner Prozedurnormen auf das schon anhängige Untersuchungsverfahren und Eintritt der
Kompetenz der betreffenden Disziplinarkammer und des Disziplinarhofs. — Ne bis in idem.
Entscheidung des Kaiserlichen Disziplinarhofs in Leipzig vom 2. April 1874 in der Disziplinar-Unter-
suchung contra den Postsekretär Haase. — Rep. 1/74.
Aus den Gründen: .
„Vorfrage ist, ob das gegen den Angeschuldigten eröffnete und geführte Disziplinarverfahren dem
Gesetze entspricht.
Das förmliche Verfahren auf Entlassung aus dem Amte ist gegen den Angeschuldigten am 19. Dezember
1872 vom Präsidenten des preußischen Staatsministeriums beschlossen; zugleich hat der erwähnte Präsident „für
die nach dem preußischen Gesetz vom 21. Juli 1852 (Gesetz-Sammlung S. 465) zu führende Voruntersuchung;
einen Beamten ernannt, und von diesem ist die Voruntersuchung demgemäß geführt.
Damals fungirte der Angeschuldigte als Postsekretär bei dem Postamte zu Marienburg in Preußen.
Er war also Reichs-Postbeamter. Deshalb glaubt er das genannte preußische Diszipinargesetz auf sich
unanwendbar.
Hierin irrt er.
Es ist richtig, daß schon die Verfassung des Norddeutschen Bundes das Postwesen der Beaufsichtigung
und Gesetzgebung des Bundes überwiesen, die obere Leitung der Postverwaltung dem Bundespräsidium attribuirt
und sämmtliche Beamte der Postverwaltung zum Gehorsam gegen die Anordnungen des Bundespräsidiums ver-
pflichtet hat (Verfassung vom 26. Juli 1867 Art. 4 Nr. 10, Art. 50). Es ist ferner richtig, daß schon durch
den Erlaß vom 18. Dezember 1867 (Bundes-Gesetzblatt 328) den deutschen Postanstalten die Eigenschaft
von Bundesbehörden ausdrücklich zuerkannt ist. Und der Angeschuldigte hat auch darin Recht, daß er 1867
Bundes-, 1871 Reichs-Beamter geworden ist und diese Qualität noch nicht verloren hat.
Allein ein Postsekretär ist nur mittelbarer Reichsbeamter. Nach der Verfassung des Norddeutschen
Bundes resp. des Reichs werden nur die oberen Post-Verwaltungs- und Aufsichts-Beamten vom Bundes-
präsidium resp. dem Kaiser, die übrigen Postbeamten von „den betreffenden Landesregierungen“ an-